Banatsko (German Edition)
schnurgeraden Straßen hinauf und hinunter, bis zum Horizont.
Es gab Abende, an denen wusste ich nichts mit mir anzufangen. Alles ringsum erschien mir schwer, klebrig vor Erde und Feuchtigkeit, sogar die Luft. Ich streifte umher und schaute durch die erleuchteten Fenster in die Kneipen. In einer Kneipe saß ein Akkordeonspieler.
Eines Abends stand ein Mann hinter mir. Er war klein, seine Augen flackerten, und sein Mund war schief. Geh doch rein, sagte er zu mir auf Deutsch.
Der Mann hieß Zoran. Ich bin Serbe, sagte er.
Ich bestellte Wein. Die Leute in der Kneipe starrten und schwiegen. Der Akkordeonspieler saß in einer Ecke, das Kinn auf sein Instrument gelegt, als schliefe er, wie nur Akkordeonisten schlafen können, denn das Akkordeon ist die Stütze in diesem ganz besonderen Schlaf.
Zoran bot mir einen Platz an. Jetzt warf er englische Worte ein. Sein schiefer Mund zuckte dann und wann um die Ausdrücke, die linkisch zwischen seinen Sätzen klemmten. Zorans Zähne standen kreuz und quer. Zoran war einmal in New york gewesen, dort lebte ein Freund, der ihn einlud, mit ihm zu arbeiten.
Wir gehen zusammen von Haus zu Haus, den ganzen Tag, sagte Zoran, es hörte sich an, als sei ihm dieses von-Haus-zu-Haus-Gehen im fernen New york eine Gewohnheit, die nur kurzfristig und zufällig durch sein Leben als Serbe in Battonya unterbrochen worden sei.
Was macht dein Freund?, fragte ich ihn, und Zoran antwortete:
Lockshmit. Er ist AA Lockshmit.
In New york schneit es viel, sagte Zoran, es ist bitterkalt, wir arbeiten ohne Handschuhe, unsere Finger können an ein Eisenschloss frieren.
New york ist wie Battonya, sagte ich, alle Straßen sind gerade.
Aber sie haben nur Nummern, antwortete Zoran. Keine Namen.
Das Akkordeon spielte ein erstes Lied. Es war langsam und drehte sich im Kreis, als ich mich umschaute, saß der Musikant immer noch in sich zusammengesunken auf dem Stuhl, nur die Finger und Unterarme bewegten sich.
Sobald die Musik erklang, erhob sich ein Stimmengewirr im Kneipenraum. Auf die Musik hatten sie gewartet, ein Meer, auf dem ihre Worte segeln konnten.
Der Akkordeonspieler erwachte allmählich von seiner eigenen Musik. Sein Blick glitt durch den Raum, weit oben, in der Nähe der Decke, über den Köpfen der Gäste, während sein Lied lauter wurde, auch die Blicke der Gäste schweiften zwischen und über ihren Sätzen und Rufen umher, unruhiger, unbeholfener als die Musikantenblicke, die zu seiner Kunst gehörten, sie alle suchten nach der Leidenschaft, die indessen zusammengefaltet in einer ungeputzten Ecke lag und nicht erwachen wollte.
Auf dem Heimweg kam ich am Kino vorbei. Ein dunkles großes Gebäude hinter immergrünen Bäumen, die sogar nachts Schatten warfen. ›Mozi‹ stand in blassen Lettern einer alten Schrift auf der Fassade, hoch über dem leeren Schaukasten.
Ich sagte das Wort vor mich hin. Mozimozi. Ein fremdes Wort.
Aus der Kellerkneipe gegenüber kam Musik. Ein Betrunkener stand auf der obersten Treppenstufe und hielt sich an den bunten Plastikschnüren des Sommervorhangs fest.
Ihr seid ja alle Zigeuner rief er.
DER AKKORDEONSPIELER
Der Akkordeonspieler war ein einsamer Mensch. Sein Leben galt den langgezogenen Klängen seines Instruments und deren Zwischenräumen. In diesen Zwischenräumen hausten seine Träume. Wenn er spielte, wurden die Träume gepresst und gebeutelt, unablässig quetschte er sie zwischen den Klängen zu kaum noch erkennbaren dünnen Blättchen zusammen, denen man schwerlich ein Leben zutraute. Dabei starrte der Akkordeonspieler in den Wirtsraum, wo die Gäste saßen oder tanzten und die Augen ziellos wandern ließen, vorbei an den mit Nacht gefüllten Fenstern, und sein Gesicht blieb reglos, während er seine Träume so zurichtete, doch sie waren beständig und zäh. Am grauen Morgen hörte man zwischen den breiten faserigen Tönen aus den Falten des Instrumentes schon das Zwitschern der Träume, die Luft holten und sich zu neuem Leben anschickten. Dieses Zwitschern war Zeichen für die letzten Gäste, sich auf den Heimweg zu machen. Die Trunkenen erhoben sich von ihren Stühlen und die Tanzenden ließen voneinander ab. Ein Glas zerbrach, ein Stuhl fiel mit stumpfem kurzem Poltern zu Boden. Die Eigenbrötler krochen aus den dunklen Winkeln, wo man sie fast vergessen hatte, und der Wirt stand mit dem Besen neben seinem Schanktisch. Der Akkordeonspieler entließ die abschließenden schwerfälligen Klänge. Er begleitete die letzten Gäste hinaus, er
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