Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
Vom Netzwerk:
beim Kommandieren vor, während seine Untergebenen bis zu den Hüften, Schultern oder Nacken bereits in der ausgeschachteten Grube standen. Im Hintergrund sah ich deutsche Landschaft, ein dunkelwaldiges Mittelgebirge, baumgesäumte Flussauen, namenlose Landschaften in einem unscharfen Graugrün, wie auf billigen Kalenderabbildungen und Postkarten.
    Zoran erzählte mir von seiner Krankheit. Er setzte sich auf einen Stuhl und deutete mit den Händen kleine Hügel an, das waren die Medikamente, die er nehmen musste. Dann beschrieb er mit einer fast zärtlichen Geste eine Wölbung in der Luft und behutsam setzte er diese vorgestellte Wölbung auf seinen Kopf, dazu sagte er ein Wort, das ich nicht verstand. Er zeigte auf einen Kakteenableger, den er gebracht hatte, und dann wieder auf den Kopf, dabei presste er die Augen zusammen. Er hatte ein Gewächs im Kopf, so hieß es früher, biologisch und liebevoll, ein Gewächs, das seine Wurzeln, Zweige und Blätter, seine in ewiger Abgeschiedenheit vom Sonnenlicht sicher weißbleichen Blüten im Körper gedeihen ließ, ein Fleischpflänzchen.
    Zoran brachte mir den Schlüssel zum jüdischen Friedhof.
    Du kannst ihn dir ansehen, sagte er, als gehörte der Friedhof ihm. Früher haben wir zwischen den Grabsteinen Verstecken gespielt.
    Der jüdische Friedhof lag am Ausgang des Dorfes, an der Straße nach Kevermes. Das Tor war stets verschlossen, doch der Zaun voller Lücken. Auf einer kleinen Erhebung ragten Grabsteine zwischen immergrünen Schlingpflanzen und rotbeerigen Büschen. Die verfallene Totenhalle trug eine hebräische Inschrift, die Buchstaben zogen einen Bogen, unter dem sich ein großes Loch auftat, dadurch sah man den Himmel und den Horizont. Der Friedhof war groß und fast leer. Ich hatte von dem gelegentlichen Hochwasser gehört, den dünnen Flüsschen, die über die Ufer traten, dem aufsteigenden Grundwasser, das die Gebeine emporschwemmte und die Grabsteine in den Schlamm sacken und darin verschwinden ließ.

STADT
    Irgendwann würde ich zurück in die Stadt fahren. Ich würde aus dem Zug steigen und in der Menge der Unbekannten durch die große Bahnhofshalle gehen. Tauben würden aufflattern und hoch hinaufschnellen, bis zu den höchsten Streben und Glasscheiben der Halle. Die Krüppel würden betteln, die Taxifahrer würden um Kundschaft anhalten. Ich würde in den Trolleybus steigen, und im Dunkeln würden sich die vielen Lichter an der Straße in den glattgewetzten Pflastersteinen spiegeln. Ein stumpfes Scheinlicht auf den dunkelgrauen Stirnen der Straße.
    Zu beiden Seiten der Straße würde ich Dinge sehen, die eine ferne Vertrautheit haben würden. Licht in den Scheiben der Kneipen. Die Auslagen von Geschäften. Das Schlendern der vielen Menschen auf den Trottoirs. Das große Mahlen der Geräusche. Das Ineinandergreifen der Geräuschkeile und Lärmräder, die eine laute Luft erzeugten.
    Das Herz würde in seiner Verwilderung erblühen, den Schmerz aufsuchen und sich betrinken. An den wirren, gierigen Blicken, die sich immer in Ecken, an Krümmungen fangen, in den Winkeln anderer, enttäuschender Erfüllungen steckenbleiben würden. Am Klirren der aneinander vorbeistreifenden herbstkalten Hände, die weit ausholend in die Luft greifen und kümmerliche Beute in ihren Fingernetzen einholen würden, Papierschnipsel, die versprühten Tröpfchen feuchter Seufzer oder hastig vergossener Tränen, im Schatten eines Kiosks oder Boulevardbaums, beim Aufstoßen der Traurigkeit, die draußen vor der Stadt den lungernden Blicken und Gedanken aufgehuckt war.
    So würde der Abend in der Stadt vergehen. Hin- und hergeworfen in der fern gerückten Lust an der Vielmenschigkeit, im Beben und Sirren einer unbekannten Erwartungsmenge. Die Nacht würde kühl werden, der Geschmack bitter, das Lachen grell. Auch in die Stadt würde der Herbst wehen. Im Morgengrauen würde ich, die Lider grau und die Zunge pelzig vom Staub der Gassen, das Herz schwer, in einen Zug steigen. Es würde hell werden, Nebelfelder würden sich über den seichten Mulden ausbreiten, in denen brackiges Spätsommerwasser stand. Jenseits der Tisza würde die Sonne hervorkommen, zaghaft und herbstblass. Die Städtchen würden versprengter, die Dörfer kleiner. Der Zug würde an kleinen Stationen halten, wo Hühner zwischen den Gleisen pickten. Dann würde die leere Landschaft anbrechen, wo der Himmel sich in den großen Lachen auf dem Ödland spiegelt. Der Himmel würde sich mit dünnem Gewölk bedecken, und

Weitere Kostenlose Bücher