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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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Buch ein. Durch das Fenster des Bahnwärterhäuschens sah man das aufgeschlagene Buch mit den säuberlichen Eintragungen, eine alte Schreibtischlampe, einen Kleiderständer, einen Eisenofen für die bittersten Wintertage und einen Besen für Schnee und Laub. Über der Tür brannte eine Lampe und beleuchtete die Aufschrift ›Battonya‹.
    Der Zug von Battonya kannte nur eine Strecke. Doch es war eine Reise zwischen den beiden Endstationen, sie führte durch Felder und an schütteren Hainen vorbei, zweimal hielt der Zug an kleinen Unterständen, wo gelegentlich Reisende ein- oder ausstiegen.

DAS FRÜHERE LAND
    Ich lernte die Sprache langsam, doch hier sprach man nicht nur eine sondern etliche Sprachen. Man sprach mit den Augen, den Händen und dem Mund, und eine Geste, beispielsweise ein kurzes Zuschlagen des einen Augenlids, mochte in der einen Sprache etwas Bestimmtes und in einer anderen etwas ganz Ungefähres oder gar das Gegenteil des Bestimmten bedeuten.
    In meinem früheren Land sprach man mit dem Mund und auf dem Rücken zusammengelegten Händen, während die Augen stets einem hübschen, gänzlich außerhalb des jeweiligen Gespräches liegenden Gegenstand zugewandt sein sollten. Hier war mir jede Sprache fremd, doch Hände und Augen gewöhnten sich schneller als der Mund, und ich sah mir zu, aus der Ferne, und dann war ich eine Sprechpuppe an einem Ort, wo die Sprechpuppen noch zu den Erfindungen aus einer Welt von Sage, Lüge oder waghalsiger Aufschneiderei gehören.
    Manchmal dröhnten mir die kurzen Sprechpuppensätze im Schädel, und ich wollte vor irgendeine beliebige Gruppe von Menschen treten, vielleicht ein paar in ihren Schwatz vertiefte Frauen, eine Traube von Männern, die sich im Schatten einer Kneipe herumdrückten, Kinder, die an dem kleinen Fluss spielten, oder auch nur die eine Frau, die abends im warmen heftigen staubigen Wind in der Dunkelheit großer Pappeln auf einen Mann wartete, der jedoch verweilte in der Kneipe mit der weit offenen Tür und dem hellen Viereck auf dem Weg davor, und dem polternden Stimmenschlag, der sich unterm Wind duckte – vor irgendeinen, irgendwelche wollte ich treten und sagen: Ich komme aus einem Land, hört zu, da riecht die Luft salzig, und das Meer ist nie weit, und jeden Morgen wachte ich dort vom Schreien der Möwen auf, die über dem Dach meines Hauses kreisten, sie zogen ein paar Kreise und riefen, schrien, heulten, und dann verschwanden sie wieder, und all das gegeneinander kreisende Knirschen und Schleifen und Scharren der Stadt schlug über den Dächern zusammen, die eben noch im hellen Licht der Meeresnähe und der Möwenrufe gelegen hatten.
    Ich wollte gern eine solche unpassende kleine Rede halten, in der ich ihren an keinen Laut aus meinem Mund freundlich gewohnten Ohren Erzählungen über das Morgenlicht aufdrängte, das dort vor meinem Fenster gelegen hatte, weiß und grau, ein Licht, das weit über kleine Herzensdinge hinausreichte. Doch was wäre damit getan, was erwirkt, außer möglicherweise der allergeringfügigsten Herzenserleichterung meinerseits, denn meine Zuhörer hätten ja nichts verstanden als ein Malmen meines Mundes um unfassbare Laute, von denen sie noch nicht einmal behaupten könnten, dass sie an Worte erinnerten, und ich müsste ihnen demnach bei einem derartigen Vortrag vorkommen wie ein versprengtes Tier.
    Womöglich hätten sie recht. Ich konnte noch gar nicht ermessen, was die Flucht von den schwindenden, bröckelnden Küsten aus mir gemacht hatte, dieser gewaltige Sprung, mit dem ich mich aus dem fahlen Gras über den Klippen gerissen, mich eigenhändig aus dem weißen Licht gehackt, aus den windbleichen krummen Straßen geschnitten hatte.
    Ich wollte dem Schatten nachweinen, der in England geblieben sein musste, denn hier, im weißen Sommerlicht der Ebenen erkannte ich meinen Schatten nicht mehr, blau und scharf heftete er sich an meinen Schritt, keinen Spiegel brauchte ich in diesem Land, der Schatten allein legte mich bloß.

BATTONYA
    Battonya hatte viele Kneipen. Die meisten trugen keinen richtigen Namen. Sie hießen ›Trinkgeschäft‹ oder ›Kneipe‹ oder auch ›Presszó‹, und waren meistens mit einer Musikbox oder einem Radio geschmückt. An manchen Abenden ging es in der einen oder anderen Kneipe laut zu, es wurde gesungen, getanzt und gebrüllt, Frauen und Männer lagen sich in der Armen, eine Welle Ausgelassenheit schwappte, Musik und Stimmengewirr tönten über den kleinen Fluss, die Gärten, die

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