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Banatsko (German Edition)

Banatsko (German Edition)

Titel: Banatsko (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Kinsky
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bevor ein Gewitter aufzog. Es donnerte lange von ferne, der Wind blähte sich auf und erschlaffte dann wieder. Die Nacht war voller Geräusche, die nirgendwo ganz hingehörten, nicht zu Luft, nicht zu Wasser, nicht zu Erde. Dann schlug ein Blitz mitten in die schwere Nacht, es begann zu regnen, und der Regen hing wie Tücher vor dem Fenster, die Tücher wurden hin und her gezogen, ein Vorhang ohne Bühne, ohne Publikum, ohne Drinnen, ohne Draußen, und alles sog Nässe in sich auf. Hinter dem Haus floss der Fluss.

DER AUFENTHALT
    Vor langer Zeit einmal fuhr ich durch gebirgiges Land. Es war Sommer, die Tage waren sehr heiß, der Himmel blau, manchmal hitzeweiß, am Abend vielfarbig über einem Gebirge. Fliegen summten im Abteil, die Reisenden dösten. An jeder kleinen Station hielt der Zug, immer mehr Leute stiegen ein. Frauen mit Körben, Männer mit Taschen, Familien mit Koffern, alte Ehepaare mit Vogelkäfigen. Bahnhofsvorsteher hoben und senkten die Arme und stießen in ihre Pfeifen. Angekommene lagen in den Armen derer, die sie erwartet hatten, oder hievten einsam großes Gepäck über die sommermüde Erde an den kleinen Bahnhöfen vorbei. Zurückbleibende winkten oder starrten suchend in die Fenster des zögernd anfahrenden Zugs.
    Ich teilte ein Abteil mit zwei jungen Männern, die am Fenster saßen und unter stetem leisem Gespräch ein Picknick verzehrten, einer alten Frau in einem schwarzen Kleid und dicken schwarzen Wollstrümpfen, einem Geschäftsreisenden mit einem flachen Koffer und einer Goldkette um den Hals, einer fleckhäutigen Frau, die in einem zerfledderten Buch las, einem dunkelhaarigen Herrn mit vielen Goldzähnen, die er beim Gähnen blitzen ließ, und einem Mann in heller Ausflugskleidung. Am Fenster des Abteils klebte eine Fotografie, über die schon oft gewischt, gerieben und gekratzt worden war, zwar ließen sich noch die ungefähren Züge eines Gesichts erkennen, doch nicht mehr, ob es sich um das Bild einer Frau oder eines Mannes handelte. Es war so dünn geworden, dass die Schatten der vorbeiziehenden Bäume und Telegrafenmasten hindurchschienen.
    Es wurde Abend. Auf dem Zugkorridor schlichen, hinkten und krochen Bettler mit körperlichen Gebrechen, sie schoben die Abteiltüren auf, streckten ihre Hände herein, die schmutzigen Handflächen warteten auf eine Gabe. Die jungen Männer am Fenster reichten jedem eine kleine Münze. Die meisten Bettler musterten die Geldstücke mit ungerührten Blicken, manche murmelten ein Wort, andere spuckten auf das Geld und rieben es an Hemd oder Hose. Eingefahrene Gesten wie die des Schaffners unter seiner steifen und zu großen Mütze.
    Es wurde dunkel, die Lichter im Zug gingen an, und wir sahen die Spiegelbilder unserer Gesichter im schmutzigen Abteilfenster, weiße Flecken, in die hier und da das Viereck des verwischten Fotos ragte. Der Zug hielt mitten in tiefer Finsternis. Man hörte die Geräusche des Waldes. Ein Unfall!, hieß es draußen im Korridor. Eisenbahner mit grellen weißen Lampen gingen neben dem Zug auf und ab, ihre Schritte knirschten auf dem Schotter. Sie herrschten die neugierigen Reisenden an, die den Kopf aus dem Fenster streckten oder Anstalten machten auszusteigen. Unruhe machte sich breit, man wechselte Worte, mutmaßte. Die beiden jungen Männer am Fenster wurden erst ungeduldig, dann fingen sie an, Geschichten zu erzählen, um die Zeit zu vertreiben. Ihre Geschichten waren sehr kurz, und nach einiger Zeit sagten sie ins Abteil: Erzählt ihr doch auch etwas.
    Die alte Frau mit den dicken schwarzen Wollstrümpfen nickte mit dem Kopf. Ich habe einen Verwandten begraben, erzählte sie.
    Der Geschäftsreisende stellte sich schlafend, dabei hielt er die Hände er so fest um den Koffer geklammert, dass die Knöchel weiß hervortraten.
    Ich komme aus einem sehr flachen Land, sagte der Mann in Ausflugskleidung, davon kann ich hier in den Bergen etwas erzählen.
    Mein Land hat weder Berge noch Meer, begann er, es breitet sich flach wie ein ausgelaufener Ozean von einem Horizont zum anderen. Im Sommer blickt man unter schräg an die Stirn gelegter Hand in die Ferne, auf den Lidern liegt das Licht und verklebt die Wimpern, der Blick schwimmt über schwarz gewordene Sonnenblumenfelder, Felder und Wiesen mit flachem, hartem, sirrendem Gras. Vögel schwirren mit kurzen Flügelschlägen, sie schimmern weißlich im Licht, dann drehen sie sich hoch oben und sind schwarz. Ihre hellen Laute erfüllen die Luft mit Wolken leiser Pfeiftöne. Hunde

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