Band 1 - Blutspur
Wenn du nicht sofort deinen Arsch aus dem Sessel erhebst, werde ich dich auf die Sonne katapultieren.«
»Ach, komm runter, Tamwood. Ich werde gar nichts machen.« Ich kannte die Stimme nicht. Sie war männlich und tief, aber mit einem weinerlichen Unterton. Sie klang so, als ob der Unbekannte so ziemlich jedem möglichen Laster frönen würde. Um Zeit zu gewinnen, reinigte ich erst mal meine benutzten Amulette in dem Topf mit Salzwasser, der neben dem Kühlschrank stand. Sie waren immer noch brauchbar, aber ich war nicht so dumm, aktive Amulette einfach so rumliegen zu lassen.
Die Musik verstummte abrupt. »Raus«, sagte Ivy bedrohlich sanft, »sofort.«
»Ivy?«, rief ich laut, da mich die Neugier gepackt hatte.
Immerhin hatte Jenks gesagt, der Besucher sei okay. Ich ließ meine Tasche auf der Arbeitsplatte liegen und ging ins Wohnzimmer. Meine Erschöpfung verwandelte sich in Wut.
Wir hatten nie darüber gesprochen, aber ich hatte angenommen, dass wir möglichst in Deckung bleiben wol ten, bis mein Kopfgeld vom Tisch wäre.
»Oh, oh«, spottete der unbekannte Kist, »sie ist zurück.«
»Benimm dich«, drohte ihm Ivy, als ich den Raum betrat.
»Oder ich zieh dir das Fel über die Ohren.«
»Ist das ein Versprechen?«
Ich schaffte es drei Schritte weit in den Raum, bevor ich abrupt innehielt.
Meine Wut wurde von meinem Überlebensinstinkt vertrieben. Ein in Leder gekleideter Vamp lümmelte in Ivys Sessel und fühlte sich offenbar ganz wie zu Hause. Er hatte die Füße in den makel osen Stiefeln auf den Kaffeetisch gelegt, doch Ivy schob sie gerade angewidert weg. Sie bewegte sich schnel er, als ich es jemals zuvor gesehen hatte.
Zwei Schritte von ihm entfernt blieb sie stehen, das Becken aggressiv vorgeschoben und die Arme vor der Brust verschränkt. Das Ticken der Kaminuhr schien lauter als sonst.
Kist konnte kein toter Vampir sein, denn er befand sich auf geweihtem Boden und es war kurz vor Sonnenaufgang. Aber verdammt noch mal - er war nah dran. Mit übertriebener Langsamkeit ließ er seine Füße auf den Boden sinken und warf mir einen gleichgültigen Blick zu, der mich bis ins Mark traf und wie eine nasse Decke an mir zu kleben schien. Und ja, er war schön. Gefährlich schön. Mir schoss Tafel 6.1 durch den Kopf und ich musste schlucken. Sein Dreitagebart verlieh ihm einen wilden Touch. Als er sich aufrichtete, warf er mit einer anmutigen Kopfbewegung sein blondes Haar zurück.
Wahrscheinlich arbeitete er an dieser Bewegung schon seit Jahren. Seine Lederjacke war offen und gab den Blick auf ein schwarzes Baumwol shirt frei, das sich an seinen muskulösen Oberkörper schmiegte. Zwei funkelnde Stecker zierten das eine Ohr, an dem anderen waren nur ein Ohrring und eine lang verheilte Wunde zu sehen. Das war die einzige sichtbare Narbe an seinem Körper. Ich fragte mich plötzlich, ob ich weitere ertasten könnte, wenn ich mit meinen Fingern über seinen Hals strich.
Mit klopfendem Herzen zwang ich meinen Blick in eine andere Richtung und schwor mir, ihn nicht mehr anzusehen.
Selbst Ivy konnte mir nicht so eine Angst einflößen. Er war ein reines Instinktwesen, das nur seinen Launen folgte.
»Ahh«, flüsterte Kist, »sie ist süß. Du hättest mir sagen sol en, dass sie so ein Engel ist.« Er holte tief Luft, als ob er den Geruch der Nacht an seinem Gaumen spüren wol te.
»Und sie riecht nach dir, Ivy Schatz.« Er senkte die Stimme, als er hinzufügte: »Ist das nicht entzückend?«
Zitternd zog ich meinen Mantel enger um mich und wich bis zur Türschwel e zurück.
»Rachel, das ist Kisten. Er wil gerade gehen. Nicht wahr, Kist?«
Er verstand das ganz richtig als eine rhetorische Frage und mir stockte der Atem, als er mit animalischer Geschmeidigkeit aus dem Sessel aufstand. Anschließend streckte er sich genüsslich, wodurch jeder einzelne seiner umwerfenden Muskeln zur Geltung kam. Ich konnte meine Augen nicht von ihm losreißen. Als er sich schließlich wieder entspannte, trafen sich unsere Blicke. Seine Augen waren braun. Er erkannte, dass ich ihn beobachtet hatte, und verzog die Lippen zu einem sanften Lächeln. Seine Zähne waren genauso scharf wie Ivys. Also war er kein Ghoul, sondern ein vol wertiger lebender Vampir. Ich beendete hastig den Blickkontakt, obwohl ich wusste, dass lebende Vamps nur die Wil igen verführen konnten. »Du stehst auf Vampire, kleine Hexe?«
Seine Stimme war wie ein Windhauch über dem Wasser und so fesselnd, dass mir die Knie weich wurden. »Du darfst
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