Bangkok Tattoo
abtauchte, in die sie ihm nicht folgen konnte. Sie legte ihm ein Kissen unter den Kopf, schlang sich ein Handtuch um den Körper und ließ ihn so liegen. Acht Stunden später kam er, herrlich erfrischt und gelassen, wieder zu sich.
»Opium«, klärte sie ihn auf. »Ich hab’s dir in den Wein getan.«
Diese Information minderte seine Gelassenheit nicht im geringsten. Genau wie die alte Frau in dem Laden vorhergesagt hatte, verlangte er nach mehr.
41
Es sieht euch farangs gleich, alles durch Maßlosigkeit kaputtzumachen, sobald ihr etwas Schönes im Leben entdeckt. In der Glanzzeit des Opiums beschränkte sich ein Gentleman-Raucher auf einige wenige Pfeifen pro Abend und konnte mit dieser Gewohnheit gut und gern hundert Jahre alt werden, weil er in der Lage war, sich bei der Erledigung seiner Alltagsaufgaben auf einen exotischen Kurzurlaub am Abend zu freuen. Niemand hielt Opium damals für die Lösung sämtlicher Probleme; es verschaffte dem ansonsten rastlosen Geist lediglich eine kurze Pause. Keiner erwartete, den ganzen Tag high zu sein.
Nach Mitchs Opiumdebüt besuchte Chanya ihn mehrmals. Die Droge ersetzte sie fast als Hauptattraktion; jedesmal wollte er mehr. Schon bald beherrschte er den Umgang mit der Pfeife, und sie gewöhnte sich an seinen glasigen Blick. Der Vorteil für sie waren seine Sanftmut und Dankbarkeit. In diesem gelassenen Zustand präsentierte er sich als perfekter Liebhaber und Ehemann, obwohl der Sex mit ihm sich jetzt nicht mehr so intensiv gestaltete wie zuvor. Sie empfand das jedoch als gar nicht so schlecht. Ihr gefielen die langen zufriedenen Phasen des Schweigens, die nun an die Stelle seiner farang- Obsessionen traten.
Bei jedem Besuch brachte sie mit schlechtem Gewissen mehr Opium mit. Die alte Frau in dem Laden war entsetzt über den Konsum des farang. Sie verstand sich selbst nicht als Dealer, sondern gab den Bedürftigen lediglich ein bewährtes pflanzliches Heilmittel ihrer Kultur. Das entsprach ihrer Rolle als Dorfweiser. Nach einer Weile teilte sie Chanya mit, sie werde ihr kein Opium mehr verkaufen, weil sie Probleme mit den Drogenbehörden der farangs fürchte und den örtlichen Cops keinen Teil vom Kuchen abgeben wolle. Chanya beschloß, Mitch zu sagen, daß er mit dem Opium aufhören müsse, da sie ihm keines mehr besorgen könne. Ausnahmsweise kam der Zufall ihr zu Hilfe.
Bei ihrem nächsten Besuch erzählte Mitch ihr eine merkwürdige Geschichte, die, das erkannte sie im nachhinein, eine profunde Wirkung auf ihn gehabt hatte, auch wenn Chanya nicht wußte, wieviel davon der Wahrheit entsprach und wieviel seiner Phantasie entsprang. Immerhin schien er selbst daran zu glauben.
Eine Woche zuvor, als er von einem seiner ausgedehnten Abendspaziergänge durch den kleinen Ort in seine Wohnung zurückkehrte, stellte er fest, daß die Tür offen war. Wegen seiner verminderten Konzentration aufgrund seines Drogenkonsums wußte er nicht genau, ob er sie beim Weggehen abgeschlossen hatte. Als er das Apartment betrat, wurde er gepackt und ins Wohnzimmer gezogen.
Der Anblick, der sich ihm dort bot, ähnelte so sehr seinen schlimmsten Alpträumen, daß er vor Angst fast erstarrte. Die beiden stämmigen jungen Männer mit Scheitelkäppchen, die ihn an den Armen festhielten, sahen aus wie Malaien. Auf dem Boden saß ein Imam mit langem grauem Bart, moslemischer Kleidung und reich verzierter Kopfbedeckung. Um ihn herum hockten etwa fünfzehn Männer, die meisten mittleren Alters, alle mit Käppchen. Mitchs Bewacher drückten ihn dem Imam gegenüber auf die Dielen.
Nach der ersten Panikattacke, die ihm das Atmen schwer machte, erinnerte er sich immerhin soweit an seine Ausbildung, daß er verstohlen nachsah, ob die Männer Waffen bei sich trugen. Er konnte keine entdecken, nicht einmal bei seinen jungen Bewachern. Mitch fühlte sich durch die vielen Jahre im Kraftraum so fit, daß er die beiden im Ernstfall überwältigen und Fersengeld geben konnte. Offenbar dachten der Imam und seine Begleiter ähnliches, denn sie signalisierten ihm mit nach oben gedrehten Handflächen, daß er sitzen bleiben solle. Er versuchte, sich über seine Situation klar zu werden. Für die Männer wäre es ein leichtes, ihn umzubringen, bevor es ihm gelänge, den Flughafen in Hat Yai zu erreichen und das moslemische Thailand zu verlassen. Sein Nervenkostüm war von den Drogen ziemlich ramponiert, aber er hatte sich immerhin soweit in der Gewalt, daß er blieb. Er bemühte sich sogar, sich innerlich
Weitere Kostenlose Bücher