Bangkok Tattoo
bis er das in grünes und goldenes Papier eingewickelte Päckchen mit Goldschleife auf dem Beistelltisch bemerkte. Unter den gegebenen Umständen war eine Falle unwahrscheinlich. Seiner zitternden Finger wegen schaffte er es fast nicht, das Paket zu öffnen, in dem sich ein Klumpen dunkles Opium befand, viel mehr als alles, was Chanya ihm je gebracht hatte.
»Er hat meine Todessehnsucht gesehen«, murmelte Mitch Turner, während er seine Pfeife vorbereitete.
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Chanya konnte es nicht fassen: Nun war Mitch Turner opiumsüchtig, und alles war ihre Schuld.
Aber egal. Karma war Karma. Vielleicht hätte sie ihm die Droge nicht mitbringen sollen, doch die Besessenheit stammte aus seinem eigenen kulturellen Umfeld; dafür brauchte sie sich nun wirklich keine Vorwürfe zu machen. Sie hatte nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, aber wie es im Buddhismus so schön heißt: Das einzige, was man für einen anderen Menschen tun kann, ist, ihm auf dem Weg ins Nirwana zu helfen. Außerdem hatte sie mittlerweile beschlossen, wieder im Old Man’s Club zu arbeiten.
Mit typischem Thai-Pragmatismus holte sie sich eine neue Sim-Card für ihr Handy und beantwortete seine E-Mails nicht mehr. Mit ebenso typisch amerikanischer Besessenheit spürte er sie ein paar Monate später im Old Man’s Club auf.
Grundsätzlich hatte Chanya nichts gegen den Club, aber natürlich fiel ihr die Rückkehr ins Gewerbe nicht leicht. Auch an den Kunden hatte sie nichts auszusetzen – in den vielen Jahren ihrer Tätigkeit war sie nur fünf oder sechs wirklich schwierigen begegnet, und wie sie mit denen umgehen mußte, wußte sie. Probleme machte ihr eher, daß es mit neunundzwanzig ein ganz anderes Arbeiten war als mit neunzehn. Jetzt konnte sie die Angelegenheit nicht mehr als Spiel auf dem Weg zum Erwachsenwerden betrachten. Also versuchte sie, wenn möglich, Fellatio zu vermeiden, und ansonsten gute Miene zu machen, denn eine traurige Nutte ist eine bankrotte Nutte. Die Kunden kommen, um sich aufheitern zu lassen; für gewöhnlich haben sie selbst trübe Gedanken – warum sonst sollten sie zu Prostituierten gehen? Der Buddha hatte schon recht: Das Leben ist Leiden. Da sah Chanya eines Abends Mitch im Old Man’s Club sitzen.
Sie hatte bereits einen Kunden hinter sich und hätte eigentlich nach Hause gehen können, als sie den mürrischen farang in der Ecke bemerkte. Chanya wandte sich hilfesuchend mir zu. Es fiel ihr gar nicht leicht, sich zusammenzureißen, nicht deshalb, weil es sich bei diesem Freier um ihren Geliebten handelte, sondern weil sie wie alle Thais öffentliche Szenen haßte. Zum Glück kannte Mitch Asien gut genug, um das zu verstehen. Überhaupt beeindruckte er sie, denn er wirkte bedeutend gesünder und weniger labil als bei ihrem letzten Treffen.
Auch die Art und Weise, wie er sich ihr näherte, war neu. Er verließ sich nicht auf seinen schrägen Humor, sondern bemühte sich, sie mit seiner Nüchternheit zu verführen. Offenbar war er nun in der Lage, ein paar Gläser Bier zu trinken, ohne die Kontrolle zu verlieren. Ruhig gestand er ihr seine Einsamkeit und daß er sie sehr vermisse. Er bat sie, ihm noch eine Chance zu geben. Sie empfand seine Komplimente und Liebesschwüre als so charmant, daß sie einwilligte, als er ihre Auslöse zahlen wollte. Mitch hatte sich in einem Zimmer in einem einigermaßen sauberen Hotel nicht weit vom Club entfernt einquartiert. Während sie händchenhaltend hinübergingen, fragte sie ihn, wie er mit dem Kulturschock, der Langeweile und Sinnlosigkeit in Songai Kolok zurechtkomme, wo auch sie sich einsam fühlen würde.
»Hör auf«, sage ich. »Keine Lügen mehr.«
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»Was für Lügen?« fragt sie verblüfft. Ihre Geschichte lief so gut, daß sie selbst begann, daran zu glauben.
»Du hast eine Menge ausgelassen, zum Beispiel die Sache mit der Tätowierung, mein Schatz. Davon mußt du mir erzählen.«
Chanya holt tief Luft. »Muß ich das?« Sie betrachtet forschend mein Gesicht, um festzustellen, ob ich das, was sie mir sagen soll, ertragen werde. »Na schön.«
Es ist schwer zu beurteilen, was zuerst kam – Mitchs Interesse für den Islam oder seine Entscheidung, sich das Tattoo tatsächlich machen zu lassen. Beides schien derselben Verzweiflung zu entspringen. Chanya bemüht sich, die Geschichte einigermaßen sinnvoll zusammenzufassen: Offenbar freundete sich der CIA-Agent mit dem Imam an, der ihn aufgesucht hatte, um ihn vor islamischen Fanatikern zu warnen.
Der Imam
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