Bangkok Tattoo
Zeit in voller Uniform, um mit den Mädchen zu plaudern und zu lachen oder sich ein Bierchen zu gönnen, und die Freier unterhielten sich sowohl mit den Girls als auch mit den Polizisten. Es war wie eine große Party. Schuldgefühle schien keiner zu haben. Die Moslemjungen behandelten die Mädchen voller Respekt und Höflichkeit, und die Frauen – nun, man hätte nicht geahnt, daß sie am unteren Ende einer Feudalgesellschaft lebten, denn offenbar litten sie nicht unter Minderwertigkeitskomplexen. Im Gegenteil: Sie wirkten bedeutend glücklicher als die meisten Amerikaner oder Japaner.
Die Jungen waren Moslems, das Gegenstück gläubiger Christen, und dennoch sündigten sie voller Vergnügen, ohne sich um die Konsequenzen für ihre unsterbliche Seele zu scheren. Was war hier los?
Chanya, die die westliche Psyche nur zu gut kannte, lieferte Mitch die Antwort: »Die halten sich alle nicht für wichtig.«
Er blinzelte sie ungläubig an. Verdammt, sie hatte recht. Die jungen Leute da unten kamen gar nicht auf die Idee, daß sie irgendeine Bedeutung besitzen könnten. Aber da täuschten sie sich natürlich; diesen Fehler machten primitive Völker, weil sie noch nicht mit einem Ego gesegnet waren.
Mitchs Gesichtsausdruck veränderte sich: Irgendwann würde auch Songai Kolok wie all die Städte in den Industrieländern werden, und dann würde der Schmutz weggekehrt … unter den Teppich. Bis dahin jedoch konnte er sich ungehindert ausbreiten. Seit seiner Ankunft hatte Mitch den Bau fünf neuer Hütten beobachtet. Es handelte sich um eine moslemische Sexboomtown. Und keiner unternahm etwas dagegen.
Nun verriet Chanya ihm zusammengefaßt ihre Erkenntnis über ihn, den Westen und die weißen Männer im allgemeinen: »Wenn du dich nicht quälen würdest, gäb’s keinen Unterschied zwischen denen und dir, stimmt’s?«
Daß es abgesehen von seiner sinnlosen Selbstquälerei tatsächlich keinen Unterschied zwischen ihm, den geilen jungen Moslems, den Nutten und den Cops gab, machte ihm zu schaffen. Der Westen pflegte eine Kultur der Vertuschung, doch gerade Männern wie Mitch, die sich am stärksten daran orientierten, fiel es am schwersten, diese simple Wahrheit zu akzeptieren. Er rettete sich in die Eitelkeit, betrachtete täglich seinen Körper im Spiegel und beschäftigte sich gedanklich mit der Tätowierung, die er sich machen lassen wollte.
Chanya gewöhnte sich an, eine Flasche Wein zu öffnen, ihm ein Glas zu reichen und zu warten, bis er lockerer wurde und wieder über sich selbst lachen konnte. Sein Sinnbedürfnis war so tief in ihm verwurzelt, daß, soweit sie wußte, nur der Alkohol ihn davon befreien konnte. Allerdings gab es da zwei Probleme: Sobald seine Wirkung nachließ, wurde Mitch noch grimmiger, und zum erstenmal bewohnten Mitch I und Mitch II simultan denselben Körper, so daß sein Geist immer wieder hin und her gerissen war zwischen den beiden Extremen. Chanya ahnte das nicht und nahm als Thai hauptsächlich die komische Seite wahr. Mit den besten Absichten demontierte sie diesen großen, muskulösen, fast schon genialen Mann. Woher sollte sie auch wissen, welche Zerbrechlichkeit sich hinter seiner Fassade verbarg?
Doch ihr Besuch tat ihm gut, daran bestand kein Zweifel. Beim Abschied am Busbahnhof sah seine Haut gesünder aus, und sein Blick wirkte nicht mehr ganz so fanatisch. Chanya wollte sich nicht festlegen, wann sie wiederkommen würde, und ausnahmsweise war er Manns genug, das zu akzeptieren. Allerdings hielt seine Disziplin nur ungefähr so lange an, wie sie brauchte, um nach Hause zu fahren. Als sie in ihrem Heimatort aus dem Bus stieg, klingelte bereits das Handy.
Und so ging es weiter. Ihre schlimmsten Befürchtungen trafen ein. Er rief jeden Tag an. Wenn sie nicht ans Telefon ging, hatte sie Gewissensbisse. (Schließlich war sie schuld daran, daß er sich in dem schäbigen Ort aufhielt.) Wenn sie das Gespräch entgegennahm, verführte er sie mit seinem Humor, doch sobald er sie hatte, wo er wollte, verdüsterte sich seine Stimmung, und er bettelte sie an, zu ihm zu kommen oder ihm ihre Adresse zu verraten, damit er sie besuchen könne.
Chanya, die es in ihrem Leben mit so vielen Männern, aber kaum jemals mit der Liebe zu tun gehabt hatte, sehnte sich nach Rat. Die alte Frau in dem Internetcafé schien ihre Gedanken ohne lange Erklärungen zu lesen. Chanya sagte ihr, sie benötige keinen Liebestrank, sondern eher etwas, um den Mann zu beruhigen. Er sei ein farang mit erregbarer
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