Bangkok Tattoo
wechsle hastig zu Chopins Nocturnes, und fast entringt sich mir ein Seufzer der Erleichterung: Meine Vorliebe für klassische Musik wurde von einem Deutschen in München geweckt, der meine Mutter ein paar Monate lang anheuerte, als ich noch ein Kind war, und der später in unserem berühmten Bangkoker Hochsicherheitsgefängnis Bang Kwan landete. Mein elftes und zwölftes Lebensjahr erwiesen sich als prägend für mein weiteres Dasein. Meine Mutter kam durch ihre Tätigkeit weit herum, und wir hielten uns fast die ganze Zeit im Ausland auf, in Paris und München, wo ihre kultivierten Kunden den Ersatzvater für mich spielten. (Dort entdeckte ich meine Liebe zu französischer Küche und Proust, Beethoven und Nietzsche, Ermenegildo Zegna und Versace, Croissants im Deux Magots und Sonnenuntergängen über dem sommerlichen Pont Neuf, zu Strauss, Lederhosen und Münchner Biergärten.) Anders als meine Mutter, die die Doors mag (sowohl aus nostalgischen als auch aus historischen Gründen: Apocalypse Now ist die einzige Nicht-Raubkopie-DVD in ihrem Besitz), kann ich nicht viel mit Rock oder Pop anfangen.
Ich lege mich auf eine der Sitzbänke, döse ein und wache erst wieder auf, als meine Mutter frisch wie der junge Tag zur Tür hereinkommt. Wir setzen uns an einen Tisch, wo sie sich eine Zigarette anzündet und meinen Bericht über das Gespräch mit Vikorn anhört.
»Lek kennt selbst keine älteren katoys? «
»Nein. Er hat gerade erst die Polizeischule abgeschlossen, und zuvor ist er nie aus Isaan rausgekommen. Sein Wissen über katoys entstammt dem Fernsehen und seinen eigenen Gefühlen.«
Nong schüttelt den Kopf. »Armer Kerl. Das ist hart. Ohne die richtige Ältere Schwester mit Erfahrung, die ihn einweist und ihm zeigt, wo die Gefahren liegen, schafft er das nicht. Er ist so ein hübscher Junge.« Sie seufzt. »Die katoys hat’s während der Aids-Epidemie am schlimmsten erwischt. Ich kannte früher viele, weil wir nach dem Dienst immer zusammen was trinken gingen – man hat einen Mordsspaß mit ihnen, aber die meisten sind schrecklich chaotisch. Sie können sich einfach nicht konzentrieren; in dieser Hinsicht sind sie schlimmer als Mädchen. Was er braucht, ist eine mindestens dreißigjährige katoy, die sich finanziell erfolgreich aus dem Geschäft zurückgezogen, es geschafft hat. Nur so kann man ihn vor dem bewahren, was nach der Anfangseuphorie kommt: die Verzweiflung der mittleren Jahre. Ohne Geld ertragen katoys das Alter nicht sonderlich gut.«
Wir sehen einander an.
Mir fällt die Kinnlade herunter. »Das ist nicht dein Ernst, oder?«
»Warum nicht Fatima?«
»Weil sie eine Mörderin ist.«
Meine Mutter blinzelt. »Was hat das damit zu tun?«
»Sie ist an ihr Geld gekommen, indem sie ihren Lover getötet hat.«
»Und durch ihre Intelligenz. Genau die braucht dein kleiner Engel auch, um sich hier auf der Erde zurechtzufinden.«
6
Frühstückszeit: Auf den Straßen wimmelt es von Garküchen. Ich habe Hunger und entscheide mich für kuay jap, eine deftige Suppe mit Shitake-Pilzen und Schweinefleisch, deren Geruch mir in die Nase steigt, als der Händler die Schöpfkelle eintaucht, dazu eine große Portion kuaytiaw phat khii mao (wörtlich »gebratene Nudeln des Säufers«, das heißt angebratene Reisnudeln, Basilikum, Hühnchen und darüber eine rote Schicht aus frisch aufgeschnittenen Chilischoten), eine gebratene Forelle mit naam plaa (eine teuflisch scharfe Sardellensauce, deren Geschmack man sich erarbeiten muß, farang), ein Glas kaltes, klares, kohlensäurefreies Wasser aus den weltberühmten Krung Theper Leitungen, ein 7-Up, und schon ist mein Menü komplett. (Das Ganze kostet mich einen Dollar fünfzig; Eis und Wasser gibt’s gratis.)
Wieder in der Bar, entnehme ich unserem Computerkalender, daß wir eine Touristengruppe erwarten; so nennen wir das jedenfalls. Inzwischen akzeptieren wir keine solchen Gruppen mehr, aber es gibt ungefähr hundert alternde Herren, die uns von unserer früheren Werbekampagne geblieben sind und etwa alle drei Monate in Rudeln bei uns einfallen.
Ich erhalte einen Anruf vom Bangkoker Flughafen: Einer der Beamten möchte eine Zimmerbuchungsbestätigung für eine Gruppe von zwanzig Männern fortgeschrittenen Alters von mir, die die Flugbegleiterinnen der Thai Air fünfzehn Stunden lang belästigt haben und nun alle betrunken sind.
»Ja«, sage ich.
»Glauben Sie, Sie bekommen sie in den Griff? Oder sollen wir ihnen die Einreise verweigern?«
»Nein, danke, das
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