Bangkok Tattoo
saß. Er ist Anfang Zwanzig, hat breite Schultern, trägt eine lange schwarze Hose, hochglanzpolierte schwarze Schuhe sowie ein schlichtes weißes Hemd und mustert mich mit einem durchdringenden Blick, den man mit einem eingefrorenen Stirnrunzeln verwechseln könnte. Der typische Kunde ist er nicht, besonders wenn man seine schwarzen Haare, seinen schmalen Schnurrbart und seine dunkle Haut in Betracht zieht.
Mittlerweile haben sich alle Mädchen zum Umkleiden zurückgezogen, so daß der Fremde und ich allein in der Bar sind. Ich schalte wieder zu Chopin.
Dem Fremden scheint die Genialität der Klavierklänge aus den Lautsprechern nicht aufzufallen. Er bestellt eine Cola und setzt sich auf einen der Hocker an der Theke. Dann sieht er mich an, von Thai zu Thai.
»Sind Sie Zuhälter?« fragt der Fremde mich ein wenig überrascht und zu unschuldig, um beleidigend zu wirken. Ich mache mir nicht die Mühe, ihm den Unterschied zwischen meiner und der Tätigkeit eines Zuhälters zu erklären.
Trotz des Stirnrunzelns sieht er gut aus, auch wenn er für einen Thai ein bißchen zu grobschlächtig ist. Er macht kein Hehl aus seiner Verachtung für die Rentnergang und mich. Über unsere Poster mit Elvis, Frank Sinatra und den anderen rümpft er die Nase. Es fällt mir schwer, seinen unschuldigen Blick zu erwidern.
»Amerikaner«, sagt er in neutralem Tonfall, sicher, daß ich ihn nicht mißverstehen werde.
Ich antworte mit einem Lächeln und einem Achselzucken: Was soll man machen?
Er entdeckt den Buddha über der Kasse und scheint ihn mit mir in Verbindung zu bringen. »Man hat mir gesagt, Sie seien Buddhist – ein richtiger, nicht so ein abergläubischer Bauer.«
»Tatsächlich?«
Er würde gern mehr sagen (vielleicht ist er noch zu jung für sein karmisches Alter – das passiert oft bei Leuten wie ihm), aber sein Schweigen spricht Bände. Offen gestanden, hat er mich kalt erwischt. Das letzte Mal habe ich eine solche religiöse Aufrichtigkeit in einem Kloster erlebt, doch dieser Mann ist kein buddhistischer Mönch. In der fast leeren Bar ertappe ich mich dabei, wie ich mich mit seinen Augen umsehe. Besonders erhebend ist der Anblick nicht, vermute ich – ein wenig zu irdisch für eine so reine Seele. (Aber vielleicht sollte man auch nicht vergessen, was reine Seelen der Welt schon angetan haben.) Ich schlage die unausgesprochene Einladung zur Reue aus, und plötzlich befinden wir uns in einer Art Pattsituation, die er meiner Meinung nach nicht für sich entscheiden kann (meine Bar, meine Straße, mein Land, meine Religion – ich gehöre hier der Mehrheit an). Da holt er ein gefaltetes DIN-A4-Blatt aus der Tasche und breitet es auf der Theke aus, ohne mich aus den Augen zu lassen. Es handelt sich um ein Digitalfoto des farang, den Chanya ins Jenseits befördert hat. Es gelingt mir nicht, ein ausdrucksloses Gesicht zu machen. Dem Moslem entgeht das nicht, aber mir bleibt keine Zeit mehr für Erklärungen, weil nun die restlichen Mädchen eins nach dem anderen eintrudeln.
7
Homer nannte in seinen Sagen alle Schiffe beim Namen. Sollte ich unsere Rettungsboote auf der weindunklen See der freien Marktwirtschaft nicht auf gleiche Weise würdigen?
Nat: Die meisten Mädchen bewahren ihre Arbeitskleidung in abschließbaren Schränken im hinteren Teil der Bar auf, doch Nat putzt sich gern schon zu Hause heraus. Weil sie, wie sie sagt, Zeit brauche, um sich in ihre Rolle einzudenken, aber Chanya hat mir erzählt, daß sie im Skytrain auf dem Weg zur Arbeit Kunden zu finden versucht. Für diese Theorie spricht, daß sie sich öfter krank meldet als die anderen, normalerweise aus dem Skytrain auf dem Weg zu uns. Das ist kein Problem, denn jede der jungen Frauen hat ihre Eigenheiten, die sie für die meisten Berufe ungeeignet machen dürften. Chanya zum Beispiel: Welcher andere Arbeitgeber hätte unter den gegebenen Umständen solche Nachsicht bewiesen?
Marly: Mit ihren siebenundzwanzig Jahren ist Marly eine der cleversten bei uns. Wie die meisten Profis erachtet sie Stammkunden als beste Möglichkeit, den Unwägbarkeiten des Gewerbes entgegenzuwirken, was bedeutet, daß sie sich auf Männer mittleren Alters und Ältere spezialisiert hat. Die Reize der Jugend werden bei den Alten mehr als wettgemacht durch Sanftmut, Großzügigkeit, väterliche Freundlichkeit, Wohlstand und die Neigung, schnell einzudösen, was Marly Gelegenheit zum Nebenerwerb gibt.
Laiita trägt ein asymmetrisches schwarzes Yves-Saint-Laurent-Imitat mit
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