Bangkok Tattoo
Schweigen. Die Konzentration des Imam läßt keine Sekunde nach, während er mich unverwandten Blickes betrachtet.
»Kommen Sie zu uns in den Süden.« Er macht eine merkwürdige Geste mit der Hand, als streichelte er ein unsichtbares Tier. »Wissen Sie, wir kannten Mr. Turner ziemlich gut. Er sollte uns Moslems ausspionieren, und jetzt ist er tot, ermordet. Das reicht den Amerikanern als Grund, meine Leute an unbekannte Orte zu verschleppen, sie zu befragen, vielleicht sogar zu foltern, mit anderen Worten: unschuldigen Männern Lebenszeit zu rauben, Ehemännern und Vätern, von denen Familien abhängen. Da kann ich nicht untätig zusehen.«
»Verstehe. Deswegen sind Sie also nach Krung Thep gekommen? Sie meinen, Sie brauchen nur hier aufzukreuzen, mich zu sich zu rufen und im Namen eines Gottes, an den ich nicht glaube, auf Ihre Seite zu ziehen?«
Der alte Mann zuckt zusammen. »Nicht im Namen Allahs – wen kümmert es schon, wie man ihn nennt? Ich sehe, daß Sie in der Sprache Ihres Propheten, des Buddha, ein arhat sind. Sie können es sich nicht erlauben, zum Werkzeug einer schwerwiegenden Befleckung zu werden, die möglicherweise viele Leben kostet. Wie sollten Sie sich innerhalb Ihres Glaubenssystems den endlosen Leidensleben stellen, die Sie dann erwarten würden? Suchen Sie uns in Songai Kolok auf – ich bin mir sicher, Ihr Colonel wird seine Zustimmung geben. Ein wenig Hintergrundwissen für den Zeitpunkt, wenn die CIA hier auftaucht, schadet doch nicht, oder?«
»Und was haben Sie von dem Arrangement?«
»Ihre Integrität. Wir selbst könnten die Amerikaner mit Sicherheit nicht davon überzeugen, daß wir Mr. Mitch Turner nicht nur nicht umgebracht, sondern ihn sogar beschützt haben. Aber von einem buddhistischen Polizisten, der Ermittlungen durchgeführt und einen schriftlichen Bericht verfaßt hat …«
»Den man einem Richter oder den Medien präsentieren könnte?«
Der Imam überrascht mich mit einem breiten Grinsen.
»Werden so nicht Kriege gewonnen in der modernen Welt? Und vergessen Sie nicht, wieviel Ehre Sie sich erwerben.«
»Sie scheinen sich ziemlich gut auszukennen mit dem Buddhismus.«
»Ich bin Thai. Meine Mutter war Buddhistin, bis sie auf Wunsch meines Vaters konvertierte. Ich bin kein Fanatiker. Gebildete Geistliche wissen, daß der Islam nicht plötzlich aus dem Nichts entstand. Er vereinigt viele Einflüsse in sich, manche von ihnen mit Sicherheit aus dem Buddhismus und dem Brahmanismus. Er ist die jüngste der großen Religionen, weswegen wir ihn als die Vollendung eines spirituellen Pfades erachten, der so alt ist wie die Menschheit selbst.«
Wer wäre da nicht gerührt gewesen: dieser schmale alte Mann, dem Bangkok und alles, wofür es steht, bestimmt verhaßt ist, mit seinem Sohn und einer Gruppe Getreuer zum Frommen des Friedens auf Pilgerreise; sein Scharfsinn im Hinblick auf die politischen Implikationen von Mitch Turners Tod; die Naivität, mit der er alles von einer fünfminütigen Beurteilung meines Charakters abhängig macht. Aber hinter dem Ganzen steckt mehr.
»Wie gut kannten Sie Mitch Turner wirklich?«
Mustafa wendet sich seinem Vater zu. Meine Frage kommt nicht unerwartet für die beiden. »Wir haben ihn einmal gebeten, unser Gebiet zu verlassen«, sagt der alte Mann mit einem Seufzen. »Leider hatte unser Besuch in seiner Wohnung die gegenteilige Wirkung. Der westliche Geist ist wild und unberechenbar; es fehlt ihm die Mitte. Danach hat er mich mehrmals aufgesucht, und ich habe ihm den Trost geboten, den ich einem Ungläubigen zu bieten imstande bin. Ihr Buddhisten habt euer Nirwana, wir haben Allah, sogar die Christen kennen so etwas wie einen Pfad, auch wenn der von kindischen Wundern markiert wird. Aber was ist mit Produkten des Kapitalismus wie Mr. Turner? Das sind menschliche Seelen, denen Gott für immer verschlossen bleiben wird. Man hört die Schmerzensschreie dieser jungen Leute, die keine Ahnung haben, wer sie sind, noch dann, wenn sie ihre Bomben fallen lassen. Sie meinen, andere zu töten, aber in Wahrheit töten sie sich selbst. Ich habe ihn vor seiner Todessehnsucht gewarnt, doch ein großer Teil seiner Persönlichkeit war bereits ausgelöscht. Er bestand nur noch aus einer Ansammlung von fremden Geschichten.«
Langes Schweigen. »Jetzt verstehe ich besser«, sage ich. »Die Ermittlungen würden ergeben, daß Sie ihn kannten, daß er Sie aufsuchte, daß es Ihnen gelang, ihn zu beschatten. Sie haben recht: Das würde nicht gut
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