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Bangkok Tattoo

Bangkok Tattoo

Titel: Bangkok Tattoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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spirituelle Themen unterhielten, schienen sie sich über alle Fragen einig zu sein. Nur in ihrem Blick auf die Außenwelt unterschieden sie sich. Eines Tages überquerten sie einen Berggrat und sahen vor sich ein fruchtbares, besiedeltes Tal.
    »Wie merkwürdig«, sagte der Christ. »Dorf eins schläft tief und fest, während in Dorf zwei alle an einer scheußlichen Orgie teilnehmen.«
    »Du täuschst dich«, sagte der Moslem, »Dorf eins befindet sich in einem dauerhaften Zustand der Ekstase, während im anderen alle schlafen.«
    »Dummköpfe«, sagte der Buddhist. »Es gibt nur ein Dorf und eine Art von Dorfbewohnern. Sie träumen sich in das Dasein hinein und wieder hinaus.«

10
    Die Adresse auf der Visitenkarte des Moslems gehört zu einem Wohnblock ein paar Gehminuten von der Bar entfernt, aber mir sind die Hände gebunden, solange die alten Herren darauf warten, daß die Chemie sie von der Plage der Impotenz befreit. Die Mädchen nutzen die Zeit, um ihre immer leidenschaftlicher werdenden Verehrer zum Kauf von Drinks zu animieren. (Bar und Mädchen teilen sich den Gewinn aus den Getränken halbe-halbe – manche Girls verdienen sich ihr Geld lieber so.) Einer nach dem anderen begleiten die Rentner ihre Angebeteten nach oben (wir verlangen fünfhundert Baht für zwei Stunden) oder nehmen sie zu sich mit ins Hotel.
    Meine Gedanken kreisen nun nur noch um die Visitenkarte des Fremden und das Foto von Mitch Turner. Laut Faxgerät-Uhr ist es zehn Minuten vor Mitternacht, aber ich wähle die Nummer auf der Karte trotzdem. Der Hörer wird nach dem ersten Klingeln abgehoben. Die Person am anderen Ende der Leitung meldet sich mit sanfter, fast flüsternder Stimme und einem Dialekt aus dem tiefen Süden. Das ist definitiv nicht der junge Fremde; die Stimme, die ich jetzt höre, klingt älter und an Autorität und Macht gewöhnt.
    »Mein Name ist …«
    Er wechselt zu normalem Thai: »Wir wissen, wer Sie sind. Eigentlich hatten wir gehofft, Sie würden uns die Ehre eines Besuchs erweisen.«
    Kurzes Schweigen. »Ich habe Angst.«
    »Verstehe«, sagt der alte Mann, und es gelingt ihm, Mitgefühl mitschwingen zu lassen. »Welche Zusagen unsererseits könnten Ihnen ein Gefühl der Sicherheit geben?«
    Obwohl er eindeutig älter ist als ich, verwendet er eine höfliche Form der Anrede, die normalerweise jüngere Leute gegenüber älteren benutzen. Mit anderen Worten: Er weiß, daß ich Polizist bin. Wieso habe ich den Eindruck, er ist cleverer als ich? »Möchten Sie einen Kollegen mitbringen? Natürlich können Sie Colonel Vikorn telefonisch über Ihr Vorhaben informieren. Aber lieber wäre es uns, wenn Sie es nicht täten.«
    Es ist, als hätte mir jemand die Augen verbunden: Führt der nächste Schritt in den Abgrund oder auf ebenen Boden? Ich lasse mir Zeit mit meiner Antwort. »Nein, nein, das ist in Ordnung. Ich mache mich gleich auf den Weg. Wohin soll ich kommen? Zu der Adresse auf der Visitenkarte?«
    »Ja, wenn Ihnen das keine Umstände bereitet. Danke.«
    Ich bitte meine Mutter telefonisch in die Bar. Sie sieht sich gerade eine Seifenoper im Fernsehen an (darin geht es um eine Familie von Hexenmeistern, die eine geheimnisvolle Welt oberhalb der Erde bewohnt und sich hin und wieder in das irdische Leben einmischt, besonders in das des immerzu von einem menschlichen Skelett verfolgten Protagonistenliebespaares – wir mögen Realismus in unseren Unterhaltungssendungen). Bereits eine Viertelstunde später trifft sie goldgeschmückt in ihrem Chanel-Kostüm, dezent nach Van Cleef & Arpels duftend, in der Bar ein. Ein paar von den Mädchen, die von ihren amourösen Abenteuern zurückkehren, begrüßen sie, erstaunt über ihre Anwesenheit, mit einem tiefen, respektvollen wai.
    Ich brauche weniger als zehn Minuten zu der Adresse auf der Visitenkarte, die sich ganz in der Nähe der Soi Cowboy, genauer gesagt in der Soi 23, befindet, einer für ihre Restaurants bekannte Gegend, die jeden nur erdenklichen Geschmack bedient (Franzosen, Chinesen, Vietnamesen, Briten, Deutsche, Amerikaner, Japaner – wir nennen sie die »Straße der hungrigen Freier« ). Ich muß mehrfach vom Gehsteig heruntertreten, um Pärchen auszuweichen, von denen die meisten aus weißen Männern mittleren Alters und Thai-Frauen um die Zwanzig bestehen. (Eine kulturelle Bemerkung am Rande: Wenn du genauer hinsiehst, farang, wirst du feststellen, daß sich die Mädchen ungeachtet dessen, was gerade in irgendeinem Hotelzimmer geschehen ist oder noch

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