Bangkok Tattoo
Sie wurde von armen, aber gläubigen Buddhisten aufgezogen und befolgt alle Vorgaben dieser Religion bis auf eine. Der Buddha verlangt von seinen Anhängern, daß sie sich um die »richtige Beschäftigung« bemühen. Chanya hat beschlossen, diesen Punkt fürs erste hintan zu stellen, weil die Prostitution mehr Geld bringt als jede Tätigkeit sonst und ihr ermöglicht, einige der anderen buddhistischen Regeln leichter einzuhalten, besonders die, die den Respekt vor den Eltern betrifft. Sie besagt, daß man für sie sorgen muß, wenn sie zu alt oder zu arm sind, um selbst dazu in der Lage zu sein. Sie verlangt auch, daß man sich um seine Geschwister kümmert, bis diese alt genug sind, um zu arbeiten, was ziemlich lange dauern kann. Chanya stiehlt nicht, lügt fast nie, kultiviert positive Gedanken und den liebevollen Umgang mit anderen, nimmt keine Drogen, trinkt Alkohol nur in Maßen, versucht, das Beste im Menschen – auch in ihren Kunden – zu sehen, und (das ist das allerwichtigste) strebt danach, ihren Geist von möglichen Befleckungen rein zu halten. Das alles zusammen mit ihrer außergewöhnlichen Schönheit und ihrer phantastischen Figur macht ihre Kolleginnen rasend, besonders als mehr und mehr Männer nach ihr verlangen.
Nach einer Woche gelangt sie zu ihrer ersten wichtigen Erkenntnis: Die Nutten hier sind alle Dämonen.
Mit anderen Worten: Mitgefühl oder andere Pfade der buddhistischen Erlösung sind ihnen fremd. Nach ihrem Tod werden sie in die Höllen zurückkehren, aus denen sie kamen, und dort weitere Zehntausende von Jahren schmoren, bevor sie es erneut mit einem Menschendasein versuchen dürfen, das sie bestimmt wieder verderben.
»Idiotenmitgefühl« ist ein Anfangsstadium des buddhistischen Glaubens, das Chanya längst hinter sich hat. Sie umgibt sich mit einem undurchdringlichen mentalen Schild, der nach außen wie Distanziertheit wirkt, ihr aber Respekt einbringt. Die Dämonen hatten sie für zerbrechlich und schwach gehalten, für einen Appetithappen am Ende der Nahrungskette. Jetzt müssen sie erkennen, daß sie etwas völlig anderes ist. Cono. Sie kümmert sich nicht um die Religion ihrer Kolleginnen, die denen wichtig zu sein scheint, ihr aber mit ihrer Angst und ihrem sinnlosen Leiden eher wie ein barbarisches Produkt einer der tiefsten Höllen vorkommt: Chanya scheißt auf Dämonen.
Nach weniger als einem Monat erhält sie die ersten Heiratsanträge. Es amüsiert sie, daß der texanische Mann auf eine Art und Weise um eine Frau wirbt, die jede Asiatin sofort durchschauen würde. Er sagt ihr, wieviel Geld er hat, zeigt ihr sein Zuhause wie ein Vogel das hübsche Gefieder und behandelt sie wie eine Prinzessin im goldenen Käfig. Manch einer täuscht sogar Bescheidenheit vor: »Viel Staat kann ich mit meiner Bude nicht machen; ich bin ja nicht reich – aber meine Zukünftige kriegt natürlich früher oder später die Hälfte von allem. Und ich bin auf dem Weg nach oben, weißt du.«
Die Grenze zwischen Ehe und Prostitution läßt sich in den Staaten offenbar genauso schwer festmachen wie in Thailand. Einige der Behausungen sind, ganz der texanischen Tradition entsprechend, riesig, doch sie bezweifelt, daß der Besitzer jemals die Hälfte davon abgeben würde. Immer mehr rotgesichtige Männer aus dem Dschungel (sie ist nach wie vor sehr Thai; für sie gehört alles, was sich nicht als »Stadt« oder »Vorort« bezeichnen läßt, in die Kategorie »Dschungel«) stellen ihre großen Geländewagen auf dem Parkplatz des Massagesalons ab. Daraufhin verdoppelt Chanyas Chef ihren Stundensatz, so daß die fünftausend Dollar für die Schleuser schon nach drei, nicht erst nach sechs Monaten abbezahlt sein werden, und dann ist sie eine freie Frau. Der Mann ist Profi und erkennt, daß er sie ohnehin nicht halten könnte. Irgendwann würden die Leute vom FBI auftauchen, um sich ihren Paß genauer anzusehen, und vielleicht bei den thailändischen Behörden nachfragen, bei denen die Fingerabdrücke fast aller Bürger gespeichert sind.
Chanya kommt zu dem Schluß, daß die Ehe doch keine so schlechte Option ist, aber sie durchschaut die Männer, erkennt die Gemeinheit hinter der charmanten Fassade, ihre Erwartung, sie in alle Ewigkeit zu beherrschen, weil sie ihrer asiatischen Natur nach gelassen und unterwürfig ist. Wenn sie sich bei einem Mann überhaupt etwas wünscht, dann den thailändischen Sinn für Humor. Natürlich spielt Geld auch eine Rolle, aber ohne ein bißchen Spaß lohnt sich das
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