Bangkok Tattoo
Tagebuch noch einmal.
VIER
Chanyas Tagebuch
26
Chanya beginnt ihr Tagebuch folgendermaßen:
Es gibt zwei Chanyas. Chanya eins ist edel und rein und glänzt wie echtes Gold. Chanya zwei bumst für Geld. Deswegen verlieren Nutten den Verstand.
Sie schreibt über sich in der dritten Person, was im gesprochenen und geschriebenen Thai durchaus üblich und bei den Ärmeren weit verbreitet ist: Chanya wollte immer nach Saharat Amerika.
Ich habe ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, den gesamten Text für dich zu übersetzen, farang, aber der Stil paßt einfach nicht zum Rest meiner Erzählung, und da ich weiß, daß du Einheitlichkeit liebst (es frustrierte mich außerdem, daß ich keine eigenen Anmerkungen unterbringen konnte), habe ich mich für eine impressionistische Wiedergabe entschieden, deren sich alle echten Gelehrten bedienen. Ist dir das recht?
Amerika war ein Traum, der sich durch das Fernsehen in ihre Seele schlich, als sie noch ein Kind war. In ihrem Kopf speicherte sie, angefangen bei Empire State Building und Grand Canyon, zahllose glanzvolle Bilder von einer Nation mit außerordentlicher Begabung zur Selbstdarstellung. Eines schönen Tages, als sie genug Geld gespart hatte, um ihre Eltern ein paar Monate lang versorgen zu können, als auch die Collegegebühren ihrer Schwester für dieses Semester bezahlt waren, als sie sich ein Stück Land in ihrem Dorf in der Nähe von Surin gekauft hatte, wo sie sich bei ihrer Rückkehr ein Haus bauen wollte, und als sie schließlich noch einen Laptop mit Textverarbeitungsprogramm in Thai ihr eigen nannte, setzte sie sich mit einer Gang in Verbindung, die im Ruf stand, ehrlich und zuverlässig zu sein. Diese Schleuser verlangten einen ziemlich hohen Betrag – fast fünfzehntausend Dollar –, lieferten aber alles, was das Herz begehrte: einen echten thailändischen Paß mit echtem Visum für die Vereinigten Staaten, ein Rückflugjahresticket, eine Person, die sie bis zu den Einwanderungsbehörden in New York begleitete, um sicherzustellen, daß sie nicht im kritischen Moment die Nerven verlor und die Aktion scheitern ließ, ein Zimmer und einen Job in einem Massagesalon in Texas.
Als Gegenleistung für ihre sechsmonatige Arbeit in dem Massagesalon senkte die Gang die Gebühr um fünftausend Dollar, weil die Einnahmen natürlich an die Schleuser zurückflossen. Eigenes Geld würde sie zunächst nur durch Trinkgelder und kleine Mauscheleien verdienen, das wußte sie. Sie würde die Zeit nutzen, um ihr Englisch zu verbessern, mehr über die amerikanischen Männer zu erfahren und herauszufinden, welche Stadt sich am besten für die Ausübung ihrer Tätigkeit eignete.
So, wie sie die Sache sah, würde sie sich in ihrem Gewerbe in einem Land, das besser zahlte als jedes andere, am oberen Ende des Spektrums befinden. Und wenn sie nach ein paar Jahren ihre Siebensachen packte, wäre sie noch keine Dreißig. Dann würde sie sich in ihr nagelneues Haus mit Garage, riesigem Plasmabildschirm-TV und Fotos von Chanya in Amerika zurückziehen. Das ganze Dorf wäre stolz auf sie, würde sie wie eine Königin behandeln und bewundern, wie gut sie sich um ihre Familie kümmerte. Vielleicht würde sie sogar ein Baby bekommen. Anders als die meisten ihrer Freundinnen hatte sie sich nicht schon mit achtzehn von einem Thai-Lover schwängern lassen. Sie wünschte sich entsprechend einer neueren Mode ein farang -Mischlingskind, das nach Ansicht ihrer Landsleute hübscher wäre, weil es hellere Haut hätte.
Eine Ehe erachtete sie nicht für unbedingt notwendig, auch wenn sie einer buddhistischen Zeremonie nicht gänzlich abgeneigt war. Sie kannte die farang -Männer gut genug, um zu wissen, daß der Vater ihres Kindes vermutlich nicht bei ihr bleiben würde. Im Gegenteil: Höchstwahrscheinlich würde er sich noch an dem Tag, an dem sie ihm eröffnete, sie sei schwanger, aus dem Staub machen. Doch das störte sie nicht. Die Funktion eines Ehemannes war die des Versorgers. Wenn eine Frau selbst Geld besaß, wozu brauchte sie dann noch einen Mann? Ihre sexuellen Bedürfnisse konnte sie befriedigen, wann immer sie wollte, obwohl sie aufgrund ihrer langjährigen buddhistischen Meditation eigentlich vorhatte, sich nach dem Rückzug aus dem Berufsleben dem Glauben zuzuwenden. Wahrscheinlich würde sie dann sogar ganz auf Sex verzichten, denn es war ziemlich lange her, daß sie ihn wirklich genossen oder in ihm etwas anderes als eine Verdienstmöglichkeit gesehen hatte. Letztlich
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