Bangkok Tattoo
Freundin ihr einen thailändischen Diplomaten namens Thanee vor, einen hellhäutigen Mann Mitte Vierzig, der offenbar ein paar chinesische Gene in sich trägt und zu einem der vielleicht einem Dutzend wohlhabenden, Thailand kontrollierenden Clans gehört. Chanya kennt den Namen seiner Familie aus den Bangkoker Nachrichten. Der steinalte Patriarch verdiente eine Menge Geld durch den Opiumhandel, als der noch legal oder halblegal war, und sein älterer Sohn bewies finanztechnisches Genie, indem er seinen Anteil am Familienvermögen zuerst in Elektronik-, dann in Telekommunikationswerte investierte. Thanee ist der zweite Enkel, und er zeigte kein Interesse am Geschäft, sondern eher am Diplomatendasein. Bei seinen Beziehungen überraschte es nicht, daß er sich irgendwann einen Superjob in Washington angelte. Nun gehört er einer Lobbyistengruppe zur Förderung thailändischer Industrieinteressen an – na ja, eher der von thailändischen Patrizierinteressen.
Die Verhandlungen gestalten sich sehr kurz; Chanya und er sind sich nach kaum mehr als einem Lächeln einig. Wan läßt die beiden nach etwa fünf Minuten allein. Chanya empfindet es als so große Erleichterung, ihre eigene Sprache zu sprechen und mit einem Mann zusammenzusein, der ihren kulturellen Hintergrund kennt, daß sie fast ihre Professionalität vergißt.
Thanee hat keine Eile, mit ihr ins Bett zu gehen, und lädt sie in ein thailändisches Restaurant in der Nähe von Chinatown ein, wo er sie auffordert, ihre Lieblingsspeisen zu bestellen. Er ordert eine Flasche Weißwein zu ihrem Garnelensalat und eine Flasche Roten zur Ente. Er bringt sie mit Thai-Witzen zum Lachen, gibt sich gleichzeitig jedoch ausgesprochen kultiviert. Er spricht nicht nur perfekt Englisch, sondern besitzt auch eine Art, die die Kellner zu beeindrucken, ja einzuschüchtern scheint. Er fühlt sich in beiden Kulturen zu Hause, stellt sie voller Bewunderung fest. Und das Beste: Sie verstehen einander sofort. Von diesem Mann sind keine unangemessene Leidenschaft oder Heiratsanträge zu erwarten. Sie werden sich nach Thai-Art Zeit lassen, in seine Wohnung zu gehen; ihr kleines Tête-à-tête wird damit beginnen, daß sie ihn ganz langsam mit aromatischen Ölen massiert. Peu à peu wird sich Vertrauen entwickeln, und er wird sie nicht drängen, sondern warten, bis sie ihm ihre Bereitschaft signalisiert. Sie wird die Nacht bei ihm verbringen, sie werden gemeinsam frühstücken, vielleicht noch einmal miteinander schlafen, bevor er sie großzügig entlohnt. Sie wird sich eine sehr beherrschte Liebe zu ihm gestatten. Innerhalb des thailändischen Klassensystems könnten sie kaum weiter voneinander entfernt sein, also wird keiner von ihnen unvernünftige Erwartungen aufbauen. Andererseits werden sie sich voller Zuneigung und auch ein wenig erleichtert, daß der nächste Auftrag bereits ihrer harrt, voneinander verabschieden. Sie wird fast sicher eine seiner mia noi oder Nebenfrauen in Washington werden.
Und genau so geschieht es, nur daß sie schon bald seine Lieblings- mia-noi ist. Wan erzählt ihr, er habe allen anderen noch in der Woche den Laufpaß gegeben, in der er Chanya kennenlernte.
Khun Toi, Thanees Frau Nummer eins und somit Matriarchin, verbringt den größten Teil der Zeit mit ihren beiden Kindern in Thailand und kommt nur selten nach Washington. Natürlich ist sie über Thanees mia noi informiert. Sie würde schallend lachen, wenn ihr jemand weismachen wollte, er sei ihr treu. Sie selbst, die im Westen erzogen wurde und auf ihre eigene Thai-Art absolut emanzipiert ist, hat einen thailändischen Geliebten, von dem Thanee weiß. Es ist durchaus denkbar, daß Thanee ihr Chanya bei ihrem nächsten Besuch vorstellen wird. Alle Beteiligten kennen die Regeln in diesem Fall: Chanya wird Khun Toi gegenüber Hochachtung zeigen, und Khun Toi wird Zuneigung für Chanya entwickeln.
Und genauso geschieht es. Khun Toi bleibt zehn Tage; sie und Chanya verstehen sich prächtig und gehen gemeinsam shoppen. Khun Toi kauft Chanya ein paar elegante Röcke und Kleider von den besten Designern, Chanya trägt alle Einkaufstaschen zu der wartenden Limousine. Nach den zehn Tagen erklärt Khun Toi ihrem Mann, wie die Zukunft aussehen wird: Chanya ist viel zu schön und wertvoll, um weiter den Launen des örtlichen Gewerbes ausgeliefert zu sein. Thanee soll ihr monatlich einen gewissen Betrag zahlen, genug für den Lebensunterhalt, gute Kleidung und die wenigen gesellschaftlichen Ereignisse, zu denen sie
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