Bangkok Tattoo
Plötzlich schrieben wir Verluste. Nong machte das am meisten zu schaffen, denn der Club war ihr ganzer Stolz, ihr Baby und offizieller Beweis, daß sie nicht nur eine außerordentlich erfolgreiche Nutte im Ruhestand, sondern auch eine international wettbewerbsfähige Geschäftsfrau des einundzwanzigsten Jahrhunderts war. Als Folge wurde sie bemerkenswert religiös, meditierte jeden Tag im örtlichen wat und versprach dem liegenden Buddha von Wat Po zweitausend gekochte Eier und einen Schweinskopf, wenn er ihr Geschäft rette. Sogar Vikorn opferte ein paar Räucherstäbchen, und ich gelangte in meiner Meditation weiter als je zuvor. Ob dieser geballten mystischen Energie war ein Wunder unausweichlich.
Und dieses Wunder hieß Chanya. Ich erinnere mich noch gut an den Tag, als sie die Bar auf der Suche nach Arbeit betrat. Sie sprach fließend Englisch mit leichtem texanischem Akzent (aber mit einem so starken Thai-Einschlag, daß sie immer noch exotisch wirkte), weil sie beinahe zwei Jahre in den Staaten verbracht hatte, bevor die Ereignisse des elften September sie zur Rückkehr nach Hause zwangen. Nach den Anschlägen war es einfach nicht ratsam, sich mit falschem Paß in den USA aufzuhalten. Man mußte in dem Geschäft aufgewachsen sein, um ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten zu erkennen. Meine Mutter und ich sahen sie sofort, Vikorn brauchte ein bißchen länger. Bereits nach einer Woche kochten wir wie wahnsinnig Eier und brachten sie zusammen mit dem Schweinskopf zum Wat Po, wo die Mönche sie aßen oder den Armen schenkten. Doch lassen Sie mich das genauer erklären.
Als erstes solltest du, farang, dich von deiner naiven Vorstellung verabschieden, daß es sich bei unseren Mädchen um ausgebeutete Sexsklavinnen einer chauvinistischen, von Männern dominierten Kultur handelt. Glaub mir, eure Medien versuchen, euch in ihrer postindustriellen Verzweiflung einzureden, daß eure Kultur der unseren überlegen ist. (Soll das ein Witz sein? Ich weiß, wie es im tiefsten Sumpf von Slough, England, samstagnachts zugeht: Da liegen die Nerven blank.) Wir haben hier nur Mädchen vom Land, kräftig wie Wasserbüffel und wild wie Schwäne, die gar nicht fassen können, wieviel sich verdienen läßt, wenn sie höflichen, gutmütigen, mit schlechtem Gewissen beladenen, reichen, kondombewußten farangs genau das geben, was sie sonst den groben, betrunkenen Schürzenjägern in ihrem Heimatdorf gratis gewähren müßten. Gutes Geschäft? Ich denke doch. (Sieh mich nicht so an, farang. Du weißt letztlich ganz genau, daß der Kapitalismus uns alle zu Huren macht.) Die meisten Mädchen sind Alleinverdienerinnen und somit Matriarchinnen und erledigen alle Familiengeschäfte mittels Handy (im allgemeinen in unserer Personaltoilette, während sie in die Dienstkleidung schlüpfen): Krankenpflege- und Mietkaufarrangements, Züchtigung von Übeltätern, Entscheidungen über Investitionen in Wasserbüffel, Ehen und Abtreibungen, religiöse Dienste, Empfehlungen für die Stimmabgabe bei regionalen und nationalen Wahlen.
Doch die Chemie spielt beim kommerziellen Sex mindestens eine genauso große Rolle wie beim freizeitlichen, und hier scheiden sich die Neben- von den Hauptdarstellern. Letztlich ist es kein Geheimnis: Der Superstar bestimmt diese Chemie. Jene Frau ist eine Meisterin des Tantra im Stringtanga, eine Oben-ohne-Hexerin, ein tanzender Derwisch mit erotischem Charisma. Sie versteht es, sich in eine Projektionsfläche für die unterschiedlichen Phantasien der Männer zu verwandeln, die sie verführt. Man möchte nicht glauben, wie viele meinen, endlich die Frau ihrer Träume gefunden zu haben, auf die sie schon ihr ganzes Leben warten und derer sie sich so sicher sind, daß sie sie vom Fleck weg heiraten würden, wenn sie nur einwilligte: die göttliche Chanya. Originalton von etwa fünfzig Prozent ihrer Kunden. Wir haben sogar einen Rausschmeißer engagiert (sein Spitzname lautet »Monitor« ; tagsüber arbeitet er wie ich als Cop), um uns vor Männern zu schützen, denen Chanya das Herz gebrochen hat. Kurz: Chanya ist die Retterin unseres Clubs, und deshalb werden wir sie in ihrer Stunde der Not nicht im Stich lassen. Jedes Genie hat seine dunklen Seiten. In unserer pränuklearen Gesellschaft ist Loyalität noch wichtig, weswegen nicht einmal der listenreiche Colonel Vikorn zögerte, seine samstagnächtlichen Bangkoker Vergnügungen zu unterbrechen, als ihm klar wurde, daß unser Superstar in Gefahr schwebte. Und hier nun, was
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