Bank, Banker, Bankrott. Storys aus der Welt der Abzocker
noch geschrieben. Und während Kuster schon zweimal den Golfplatz und sogar dreimal die längst überfällige Shopping-Tour mit seinem Personal Fashion Adviser hatte verschieben müssen, weil seine Kunden hyperventilierten, kam erst mal zwei Tage lang gar nichts. Auf seine nächste Brand-Mail (erste Priorität, Text in Rot, sehr viele Ausrufezeichen) hatte er postwendend Antwort von dieser Assistenten-Pfeife gekriegt: »Out of office, habe nur limitierten Zugang zu meinem Account, bitte wenden Sie sich in dringenden Fällen an info@communication im Intranet.«
Da hatte Kuster dann aber zum Telefonhörer gegriffen, als sein Apparat gerade mal nicht klingelte, und die Head of Corporate Communication persönlich verlangt. War aber, schon fast auf der Zielgeraden, von deren Personal Assistent noch abgefangen worden, nein, gerade wichtiges Meeting, nehme sein Anliegen gerne entgegen, verspreche umgehende Antwort.
Kuster hatte gerade mühevoll einen gewissen Igor, ungern erinnerte sich Kuster an das Besäufnis, das dem Depot-Vertrag vorangegangen war, davon überzeugt, dass er nicht sofort alle seine Kohle in Gasprom oder Gold oder Farbergé-Eier stecken müsste, als tatsächlich sein Mail-Eingang bimmelte, Absender: from the desk of Head of CC. Na immerhin, sagte sich Kuster, hoffentlich ist der Q&A nicht zu lang, da müsste ich ja noch ewig auswendig lernen.
Dann machte er das erste der zahlreichen Attachments auf und bekam einen roten Kopf. Schnell klickte er sich durch die weiteren 17 Anlagen, die seinen ersten Verdacht aber auch alle nur bestätigten. Kuster hämmerte auf den Knopf seiner Gegensprechanlage: »Müller, sofort ein Glas Milch, sonst kriege ich noch einen Infarkt hier.« Müller eilte eine Minute später mit einem wohlgefüllten Glas in Kusters Büro, schaute ihn kurz an und zog sich sofort wieder zurück. Kuster nahm vorsichtig ein paar Schlucke und stützte den Kopf in beide Hände. Er hatte die sicherlich vollständige Liste der Press Releases der Kreditunion, dazu noch das Interview des CEOs mit der »NZZ« von vorgestern sowie eine Kopie des internen Manuals »Wie führe ich Anlegergespräche?« gekriegt. Und sonst nichts. Gar nichts.
Und schon wieder blinkte das Licht, das den Anruf eines Ultra-High-Networth-Kunden signalisierte. »Müller«, bellte Kuster in die Gegensprechanlage, »verbinden Sie den mit Corporate Communication, nehmen Sie dafür die direkteste Durchwahlnummer, die Sie haben, ich kann hier im Moment nicht mehr.« Dann nahm Kuster das inzwischen geleerte Glas und schleuderte es mit Wucht gegen seinen Computer-Bildschirm.
Dreiundzwanzig
Hugentobler bemühte sich mit allen Kräften, wach zu bleiben. Aber einfach war das nicht. Meistens konnte er diesen Schwachsinn ja vermeiden, aber auch er, nicht zuletzt als Vorbild für seine sieben Abteilungen, musste diese Tortur über sich ergehen lassen. Der gegelte Krawattenträger da vorne langweilte schon seit einer geschlagenen Stunde die anwesenden Banker mit Leverage-Effekten, mathematischen Modellen zum richtigen Einsatz von Derivaten, Short Selling, Widerstandslinien, verbesserten algorithmischen Potenzialkurven, es war zum Mäusemelken.
Vor einer halben Stunde hatte Hugentobler versucht, etwas Stimmung in die Veranstaltung zu bringen, und den frisch der HSG entsprungenen Langweiler gefragt: »Sagen Sie mal, wieso ist denn eigentlich Long-Term Capital Management zusammengekracht?«
»Eine gute Frage«, hatte der Bursche aalglatt geantwortet, »die sparen wir uns doch für die Schlussdiskussion auf.«
Aber Hugentobler hatte nicht locker gelassen: »Glauben Sie eigentlich noch an das Black-Scholes-Modell oder an die Brownsche Bewegung?«
»Nun, eine Diskussion dieser Frage an dieser Stelle würde sicherlich den engen Zeitrahmen sprengen …«
»Nun«, hatte Hugentobler nachgelegt, »mich würde eigentlich nur interessieren, ob Sie das klassische Option-Pricing-Modell heute noch anwenden würden oder nicht.«
Schon vor der Antwort hatte Hugentobler innerlich abgeschaltet. Heute kommt doch einfach keiner mehr mit, sinnierte er, der Kerl da vorne weiß wahrscheinlich nicht mal mehr, was LTCM war. 1998 war Hugentobler noch voll dabei gewesen. Das war vielleicht ein spannender Moment, als der Spread zwischen Swap-Rate und Treasury Bonds immer weiter angestiegen war, bis LTCM noch ein bisschen mehr als zwei Milliarden in der Kasse hatte, dem aber Verbindlichkeiten im Nennwert von doch beeindruckenden ein Komma fünfundzwanzig
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