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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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Kleidern zu
schwer werden, wenn sie den Bus zum Bahnhof und später den Zug nahm, um herauszufinden,
welche Wege unsere Venen zeichneten.
    Évis Sorge um Aja hatte sich mit
den Jahren verflüchtigt, wie das Wasser, das die Sommersonne mitnahm, um das
Bachbett dem Klatschmohn zu überlassen. Die Sorge war kleiner geworden, mit
jedem Tag, an dem Évi hatte sehen können, dass Aja nicht zu atmen aufhörte, sie
wachte am Morgen auf und lief in ihrem Nachthemd mit den langen Ärmeln in die
Küche, sie kehrte an den Abenden zurück und ging nicht verloren, sie wurde im
klammen Haus nicht mehr krank, sie lernte lesen und schreiben und rechnen, und
auch wenn ihre Eltern Évi und Zigi waren, wuchs sie auf, wie alle Kinder in
Kirchblüt aufwuchsen. Aja war erwachsen geworden, Évi hatte zusehen und
aufhören können, sich zu ängstigen, nach und nach hatte sie ihre kleinen
Lampen gegen die Dunkelheit ausschalten können. Ihre Erinnerung an Schneefelder
war verblasst, der fallende Schnee machte ihr nichts mehr. Seit Aja ihren
achtzehnten Geburtstag gefeiert hatte, hatte Évi sogar angefangen, sich zu
freuen, wenn Schnee das Laub zudeckte, das sie im Herbst nicht zusammengekehrt
hatte, und wenn sie morgens auf ihrem Weg zum Fotoladen nicht durch Schlamm,
sondern über frischen Schnee laufen konnte. Sie ging nicht mehr mit tastenden,
zögernden Schritten und öffnete schon lange nicht mehr die beschlagenen Fenster
zum Garten, damit ein Windstoß ihre Angst zu unseren Linden und über die
Felder tragen würde.
    Ajas Stimme hatte aufgehört, sich
zu überschlagen. Aja musste nichts mehr ausgleichen und nicht mehr ablenken
davon, dass sie kleiner war als andere, weil sie nach ihrem elften oder
zwölften Geburtstag nicht weitergewachsen war und von allen, die nicht genau
hinsahen, noch immer für ein Mädchen gehalten wurde. Ihren drängenden, forschen
Ton hatte sie verloren, sie biss sich nicht länger fest an etwas und hatte es
aufgegeben, andere mit Worten laut zu bekämpfen und schneller sprechen zu
müssen, weil sie geglaubt hatte, einen Vorsprung zu brauchen und immer ein
sicheres Stück voraus sein zu müssen, aus Angst, sie würde sonst überholt
werden. Was ihr blieb, war ihre Gabe, den Schnee zu spüren, wenn er über Nacht
kommen und am Morgen ihre Linde weiß malen würde, und im Krankenhaus fragten
sie Aja öfter nach dem Wetter als nach den Krankheiten, auch später, als sie
schon Ärztin war, auch da kam man zu ihr, um zu fragen, wann wieder Schnee
fallen würde und wie heftig. Seit Aja angefangen hatte, im Krankenhaus zu
arbeiten, glaubte ich eine Ähnlichkeit zu erkennen zwischen dem, wie Évi mit
ihr gewesen war, und wie Aja jetzt mit den Menschen umging, die hier in den
Betten lagen. Ich war sicher, all die Jahre, in denen Évi sie in frostkalten
Nächten zugedeckt und an sommerheißen Tagen durchs flache Wasser des Waldsees
gezogen hatte, hatten damit zu tun, wie Aja jetzt mit anderen sein konnte, all
die Jahre, in denen sie ihre bunten Stifte mit dem kleinen Obstmesser gespitzt
und still im Türrahmen gestanden hatte, während Aja in ihre Hefte geschrieben
hatte, in denen sie sich zurückgenommen hatte, sobald Zigi mit seinem dunklen
Koffer am schiefhängenden Tor aufgetaucht und dann über Wochen durch ihren
Garten gesprungen war.
    Karl und ich folgten Aja, etwas
anderes, als zur nächstgelegenen Hochschule nach Heidelberg zu gehen, fiel uns
nicht ein, und insgeheim mochten wir den Gedanken, an den Wochenenden nach Hause
fahren zu können und nicht ganz aus dem Leben unserer Mütter zu verschwinden,
auch wenn wir seit Jahren so getan hatten, als könnten wir ihnen jederzeit den
Rücken kehren. Das Neckarufer mit seinen kantigen Höhen wurde für uns zum
hellsten Streifen Land, und für eine ganze Weile konnten wir uns nichts darüber
hinaus vorstellen. Für meine Mutter blieb die Gegend vergiftet, wie sie sagte,
gerade wegen ihrer Zitronenfalter und weichen Gräser, aber Aja, Karl und ich,
wir fuhren oft dorthin, auch wenn wir uns jetzt nicht mehr Tag für Tag sehen
konnten. Einmal setzten wir sogar mit der Seilfähre über, an der meine Eltern
vor Jahren ihre Räder hatten stehen lassen, und liefen zur Schiffsterrasse, wo
mein Vater sein letztes Stück Viktoriatorte gegessen hatte, bestellten Kaffee
in weißen Porzellankännchen und ließen unsere Blicke über das weiche Gelb der
Wellen gleiten.
    Karl hatte in Heidelberg ein
Zimmer gemietet, mit einer Küche, in der er nie kochte, aber von deren rundem
Fenster

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