Bank, Zsuzsa
losen Platten
zum schiefhängenden Tor, auf den Gängen unserer Schule, auf ihrem Hof, auf dem
großen Platz unter den Platanen, unter den Flutlichtern der Eislaufhalle und
über unseren Kissen und Decken, wenn ich bei Aja schlief und wir so heftig
lachen mussten, dass Évi wach wurde davon und am Morgen fragte, was mitten in
der Nacht so lustig gewesen sei. Ich dachte Jahre später noch daran, wenn ich
allein, wenn ich ohne Aja war und mir nichts blieb, als an sie zu denken, und
ich fing wieder an zu lachen, wenn mir einfiel, was sie gesagt und wie ihre
Stimme geklungen hatte, ihre feine, hohe Stimme, mit der sie zu allen außer
Karl und mir immer zu laut gesprochen hatte.
Wir wurden achtzehn, bald nachdem
Aja und ich angefangen hatten, Schuhe mit Absätzen zu tragen und tagsüber auf
den Betten zu liegen. Aja gab sich nicht länger dem Gedanken hin, Zigi könne
immer hier sein, er würde irgendwann nicht seinen Koffer packen und losziehen.
Der Winter lag weit genug hinter uns, in dem die Sonne über Kirchblüt blass
geblieben war und wir begriffen hatten, dass Zigi uns Geschichten erzählt hatte,
die seines Vaters oder Großvaters vielleicht, und für Aja hatte er sich an
Orte begeben, an denen er nie gewesen war, hatte sich Zugfahrten in England
und die Wette für eine Schiffspassage ausgedacht, damit sie glauben konnte, er
habe seinen ersten Abschied auf diese Weise bezahlt und nicht von dem Geld, das
er Monat um Monat gespart hatte. Wir hatten Évis Warnung verstanden, Zigi
träume von den Dingen und hole sie ins Leben, indem er vorgebe, sie seien so
wirklich geschehen. Als sie Zigi begegnet sei, in einem Zirkuszelt, in dem die
Pferde die Sägespäne mit ihren Hufen aufgewirbelt hätten, habe sie schnell
begriffen, wie sehr er von Dingen träumen konnte, auch davon, eines Tages in
einem der großen Häfen ein Schiff zu nehmen, und deshalb habe sie angefangen,
ihm Modellschiffe aus Holz zu schenken, wann immer sie eines in einer Auslage
entdeckt hatte, das etwa so ausgesehen habe wie der Dampfer, den Zigi Jahre
später bestiegen hatte, damit er ihn über den Ozean trage.
Wir feierten unseren Geburtstag in
Évis Garten, wo es nach süßem Herbst, nach fallendem Obst roch und das Gras
hoch stand an diesem Oktobertag, dessen laue Luft die Blätter unserer Linden
kaum bewegte. Aja und Karl hatten mit dem Fest gewartet, bis ich im Herbst auch
achtzehn wurde, und so wie es Évi nie etwas gemacht hatte, machte es ihr auch
jetzt nichts, als sich so viele zwischen ihren Bänken und schiefen Stühlen, auf
dem Feldweg vor ihrem Zaun, unter der Regenrinne und auf den Stufen vor dem
Fliegengitter drängten. Am Morgen hatten grauweiße Wolken den Himmel
eingesperrt, und Évi hatte Ranken aus Efeu geschnitten, die im Sommer über den
Maschendraht vor den Hühnern geklettert waren, hatte drei dichte Kränze
gebunden und auf unsere Köpfe gesetzt, nachdem wir die Blechwannen mit Wasser
und Eiswürfeln gefüllt hatten, die meine Mutter in großen Tüten hatte bringen
lassen. Évi hatte uns mit einer ihrer kleinen Bewegungen über die Wangen gestrichen,
sie hatte eine von Karls Strähnen zwischen zwei Finger genommen und getan, als
habe sie den rotgrünen Kranz aus Efeu richten und an seinen Blättern zupfen müssen,
als habe sie einen Vor wand gebraucht, um Karl zu berühren, als könne sie
nicht mehr wie früher die Hand nach ihm ausstrecken und sein Haar anfassen, als
reiche er ihr nicht schon längst über Kopf und Schultern, als sei er genau an
diesem Tag zu groß dafür geworden.
Évi überließ uns ihren Garten,
ohne zu sagen, was wir tun oder lassen sollten, ohne überhaupt etwas zu sagen,
als könne jedes Wort nur falsch sein an diesem Tag, als könnten ihr die
Gedanken plötzlich Fallen stellen. Aus ihrem Radio drang dieses Lied, Évi
stellte es lauter und öffnete das Küchenfenster, und einen Augenblick lang
dachte ich, sie habe es für uns bestellt, sie habe in einer dieser Sendungen
angerufen und dieses Lied für uns bestellt, damit es am Abend durch ihren
Garten dröhnen würde und wir glauben könnten, die Welt würde ihre Sorgen für
sich behalten. Évi ging den Feldweg hinab, in ihren Gummistiefeln und der
bunten Strickjacke, vorbei an den brachen Feldern, die sie in diesem Herbst
früh abgetragen hatten. An der Brücke verloren wir sie aus dem Blick,
vielleicht ging sie zu meiner Mutter, vielleicht zu Ellen oder zum Fotoladen,
vielleicht auch langsam durch den stillen Wald, was sie häufig tat in letzter
Zeit,
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