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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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Évi konnte Karl die
Schlüssel geben, wenn sie am Morgen noch Tortenguss anrühren und Zucker im
Wasserbad zerlassen wollte, sie wusste, er würde den Fotoladen pünktlich
öffnen, das Glöckchen einhängen, seine Brille mit den dunklen Rändern
aufsetzen und anfangen, die Umschläge aus der gelben Kiste zu nehmen und unter
den Anfangsbuchstaben der Namen in Fächer zu legen. Wenn sie kam, wühlte Karl
schon hinter dem Vorhang in Papiereimern und hob auf, was andere von ihren
Fotos geschnitten und neben den langen Klingen auf die Tischplatte hatten
fallen lassen. Évi hatte sich nie gewundert, dass Karl in den schmalen
Streifen etwas erkannte, dass er mehr darin sah als nur das Ende eines
Strandes, kahle Wände oder die Räder eines Autos, wenn er sie nahm und ordnete,
all die abgetrennten Laternen, Hausdächer und Baumkronen, und sie in Kartons
sammelte, die er neben seinem Schreibtisch stapelte und mit Fotoschnipseln
beklebte, von leeren Stühlen, von Menschen, die ins Bild gelaufen waren, am
Rand auftauchten und auf ein anderes, ein nächstes Bild gehörten. Karl fügte
sie zusammen, bis sie ein neues ergaben, in dem nichts passte, die Häuser nicht
zur Landschaft, die Köpfe nicht zu den Körpern und das Licht nicht zum Himmel.
Auf einem waren unter Johannisbeersträuchern Ajas schmale Füße in gelben, zu
großen Sandalen zu sehen, und daneben meine, zwischen Maulwurfshügeln und
Butterblumen, nackt und schmutzig im hohen Gras. Évi musste sie einmal
abgeschnitten haben.
    Évi verstand immer mehr von Karls
Arbeiten als andere, und wenn sie mit ihm redete, auf dem schmalen Bürgersteig
vor dem Fotoladen, über den Karl noch immer jeden Samstag sein Fahrrad schob,
um mit Évi die wenigen Schritte zum großen Platz zu laufen, hätte man denken
können, sie sei seine Mutter, nicht Ellen. Kurz nachdem Ellen aufgehört hatte,
Fremden ins Haar zu fassen, weil es sie an Ben erinnert und sie nicht anders
gekonnt hatte, als ihre Hand danach auszustrecken, war Karl samstags allein
zum Fotoladen gegangen. Er hatte die Schlüssel am schiefhängenden Tor geholt,
damit Évi Teig kneten und Rosinen für die vielen Bestellungen einlegen konnte,
die sie in den Wochen vor Weihnachten erreichten und die meine Mutter auf die
spitzen Haken der Leiste spießte, deren dunkles Holz noch immer das Weiß der
Wände teilte. Als Évi den Hefeteig vor den Ofen stellte, damit er in der Wärme
aufgehen würde, hörte sie ein Klopfen am Fenster, ein heftiges kurzes Schlagen,
und als sie sich umdrehte, weil sich Karls Vater oft so ankündigte, wenn er den
Kuchen holen und mit dem Rad ins Städtchen fahren wollte, flatterte ein Vogel
auf, ein kleiner schwarzer Vogel, wie er durch Karls Kopf hätte fliegen
können, und obwohl es nicht selten geschah, dass sich ein Vogel verirrte und
gegen ihre Scheiben flog, überfiel Évi eine Ahnung, ein plötzliches Gefühl der
Unruhe, wie sie uns später sagte, das ihr von der Brust zur Kehle schoss, über
die Schultern und Arme bis in die Spitzen ihrer Finger. Sie vergaß, die Reste
von Teig und Mehl von den Händen zu wischen, band die Schürze ab und warf sie
über den Stuhl, zog Mantel, Mütze und Stiefel an, die auf Zeitungspapier in
einer kleinen Pfütze neben ihrem Altar standen, und weil ihr das Laufen zu
lange dauerte, nahm sie hinter dem Verschlag mit den Hühnern Ajas Fahrrad und
fuhr unter den fliehenden Wolken eines hellgrauen Herbsthimmels zur Brücke über
den Klatschmohn und dann weiter hinter den Marktständen übers
Kopfsteinpflaster, und weil ihr keine Zeit blieb, schob sie das Fahrrad nicht
in den Hof, sondern lehnte es ans große Fenster der Auslage, sprang die Treppen
hoch, öffnete die Tür mit dem klingelnden Glöckchen und schob sich vorbei an
allen, die im Laden standen und darauf warteten, dass Karl sich an der Theke
zeigen würde. Später sagte uns Évi, sie habe die Plakate nicht sehen brauchen,
Karls Blick habe ihr gereicht, um zu wissen, dass er hinter dem dicken Vorhang,
in einer der großen Kisten, sie entdeckt hatte, Plakate mit dem Gesicht seines
Bruders, die der Fotohändler vor Jahren für Ellen vergrößert hatte, ohne Geld
dafür nehmen zu wollen. Ellen hatte sie damals in den Geschäften rund um den
großen Platz aufgehängt, und Aja und mich hatten sie auf unseren Wegen
begleitet. Wie Pfosten hatten sie unsere Pfade abgesteckt und vorgezeichnet,
wie Pfeile hatten sie uns die Richtung gewiesen und gezeigt, wie wir zu gehen
hatten, damit Karl zu uns stoßen und in unser

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