Bank, Zsuzsa
und
wegziehen konnte. Sobald der Herbst die Blätter von den Linden gerissen hatte,
fürchtete Aja schon den ersten Schnee, und etwas hielt sie zurück, wenn die
Luft ihn ankündigte und der Himmel sein schmutzigstes Weiß zeigte, wenn wir in
dicken Mänteln am Zaun standen und Aja auf dem eisigen Boden zum Abschied kein
Rad schlagen wollte. Selbst wenn wenig Schnee gefallen war und der nächste
Morgen ihn schon mitnehmen würde, wurde Aja darüber stiller, als habe sie die
Lust zu reden verloren. Sobald der Frost die Zweige einsperrte, hängte Évi
Meisenbälle und Pfaffenhütchen vors Küchenfenster, und Aja und ich durften auf
der Spüle sitzen, die Füße im Becken, und den Vögeln zuschauen, wenn sie sich
festkrallten und zu picken anfingen. Wir verbrachten ganze Nachmittage so,
klopften ans Fenster und begannen, die Vögel zu zählen, sie zu rufen und ihnen
Namen zu geben. Nur wenn Schnee fiel, schaute Aja an ihnen vorbei und sah den
Flocken nach, als male sie sich aus, wie sie ihnen ausweichen könnte, wenn sie
über die losen Platten zum Tor und den Weg hinab zur Brücke über den Klatschmohn
musste. Wenn ich ging, blieb sie am Fenster, und wenn ich mich am Zaun nach ihr
umdrehte, schaute sie auf mein Haar, auf meine Schultern, als müsse es mir weh
tun, wenn sich Schnee daraufsetzte, als könne es mich schmerzen, wenn ich ihn
mit meinen Handschuhen von den Ärmeln streifte und den Kopf schüttelte, damit
er sich von meiner Mütze löste.
Évi glaubte, Aja habe eine
Erinnerung an den Himmel, an die Kälte und den Schnee dieses einen Wintertags,
der weit genug zurücklag, um längst verblasst zu sein, aber mit den Jahren nur
deutlicher und greller zu werden schien, als sei die Zeit verdreht worden, als
liefen alle Uhren falsch, als rückten die vergangenen Jahre nicht weiter weg,
sondern sprängen heran, als springe besonders dieser eine Tag mit jedem neuen
Winter näher an sie heran. Évi dachte, Aja sei an Schneetagen deshalb stiller,
obwohl Aja jedes Mal sagte, nein, sie könne sich an nichts erinnern, nicht an
diesen Ort, an diesen Tag, auch nicht an diesen Schnee, wenn Évi davon zu
erzählen anfing, weil Aja sie lang genug gedrängt hatte. Es war in Ajas zweitem
Winter gewesen, als sie noch nicht in Kirchblüt gewohnt hatten, Aja schon
laufen konnte und Évi sie nur noch selten in ihrem Wagen spazieren fuhr. Évi
hatte den Winter überstanden geglaubt, hatte hinausgeschaut aus ihrem
Dachzimmer mit dem runden Fenster und der Nische für zwei Herdplatten, an das
Zigi sie mit seinen winzigen Zeichnungen manchmal noch erinnern wollte. Obwohl
sie schon Krokusse gesehen und den Frühling erwartet hatte, war noch einmal
Schnee gefallen und nach Stunden in Regen übergegangen. Aja hatte in eine Decke
gehüllt auf einem Kissen geschlafen, die Händchen zu Fäusten geballt, das
Köpfchen zur Seite gedreht, unter dem blassen Licht einer Lampe, über die Évi
ein blaues Tuch gehängt hatte, während das dichte Weiß vor dem Fenster langsam
verschwunden war, weggewaschen vom Regen, der über Nacht zu Eis auf den Straßen
und Gehsteigen wurde.
Am Morgen war Évi auf dem Zimmer
geblieben, sie hatte wenig Lust, in das Wetter hinauszugehen, erst am Nachmittag
zog sie Aja den roten Anzug über, in dem sie winzig aussah, mit weißem Fell an
Kapuze und Ärmeln, die über ihre Hände reichten, nur Ajas Augen blieben über
dem Schal frei. Als Évi den Kinderwagen über den Bürgersteig schob, konnte sie
auf die Straße und die ferne Kreuzung sehen, die schon im Dämmerlicht lag,
aufgebrochen von den Scheinwerfern weniger Autos, die langsam vorbeifuhren.
Warum Évi das Haus verlassen hatte und hinausgegangen war in den Schnee, der
wieder anfing zu fallen, wusste sie nicht mehr, ob es wirklich nur gewesen war,
weil sie glaubte, ein Kind müsse jeden Tag an die Luft. Wenn Évi sonst nur über
wenig nachdachte, dachte sie daran oft und fand doch keine Erklärung, warum sie
nach diesem verrückten schnellen Wechsel von Schnee zu Regen und wieder
Schnee nicht zu Hause geblieben war, warum sie nicht darauf verzichtet hatte,
Ajas Wagen an diesem Tag zu den breiteren Straßen zu schieben, vorbei an Zäunen
und Gärten, die unter einer Decke aus Eis lagen. Der Gedanke daran überfiel
sie oft in den frühen Morgenstunden, wenn sie unter ihren Lampen wach lag und
auf das erste Licht des Tages wartete, er nagte und zerrte an ihr, nur weil ihr
Kopf gerade bereit war, einen Gedanken zu denken und ihm kein anderer
einfallen wollte.
Évi
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