Bank, Zsuzsa
der die Schneeflocken
über seinem Kopf tanzen ließ und fremde Schatten wie verspätete Fastnachtsboten
durch die Straßen schickte, als könnten ihm Pfeiler und Steine heute etwas
Neues zeigen, das er mit seiner Kamera würde festhalten wollen, die er in der
dunkelroten Tasche trug, die er lautlos öffnen konnte, um den Sucher schnell
vor sein linkes Auge zu halten, mit dem er besser sah, und die Blende so
einzustellen, damit er später im Schwarzweiß genau die Konturen finden würde,
die er haben wollte. Als der Schneefall nachließ, lief Jakob wie in einem Kegel
weiter, in dem er hoch in einen blassgelben Himmel blicken konnte, ohne dass
ihm noch Flocken aufs Gesicht gefallen wären. Er streckte die Arme zur Seite,
nicht einmal seine Fingerspitzen berührte der Schnee, er drehte sich und
zeichnete mit den Stiefeln einen Kreis, und als er sich ein drittes, viertes
Mal um sich selbst drehte, sah er unter dem Brückentor Ellen stehen, als habe
das Schneetreiben sie durch die Luft getragen und dort abgesetzt, in ihrem
samtblauen Mantel, der Kragen so hochgeschlagen, dass er ihre Wangen
versteckte. Sie schaute zu Jakob, zum lichten Kegel, in dem er stand, die Arme
noch immer ausgebreitet, als habe er über Ellens Anblick vergessen, sie zu senken.
Ellen trug weder Handschuhe noch Mütze, Schneeflocken klebten auf ihrem langen
Haar, und als habe sie die Abstände zu den Seiten ausgemessen, ging sie genau
in der Mitte über die Brücke, in hellblauen Stiefeln langsam durch den Schnee,
in den sie auf hohen Absätzen ihre Spuren neben Jakobs Spuren setzte, und als
sie nur noch drei, vier Schritte von ihm entfernt war, schlug er die dunkelrote
Tasche auf, griff nach seiner Kamera, hielt den Sucher vor sein linkes Auge
und drückte den Auslöser.
Fortan sah es aus, als wolle Ellen
Jakob nicht mehr allein lassen, vielleicht aus Angst, noch einmal jemanden
allein zu lassen, ohne den sie nicht sein konnte, und wenn sie zu ihm redete
und zu dicht bei ihm saß, sagte Aja, hoffentlich ist Jakob nicht weitsichtig,
sonst kriegt er gleich Kopfschmerzen. Jeden Tag fuhr Ellen über verschneite
Landstraßen die sachten Hügel hinab zum Neckarufer. Évi nahm sie nicht mehr
mit, weil sie nichts mehr aus der Stadt brauchte und für Ostern alles auch in
Kirchblüt besorgen konnte, wie sie sagte. Wenn Jakob an den Abenden sein
Atelier verließ, ging Ellen mit ihm über die Alte Brücke, in ihren Stiefeln aus
Wildleder, mit denen sie trotz der hohen Absätze kaum an Jakobs Schultern
reichte, über der seine dunkelrote Tasche hing, die er nicht mehr geöffnet
hatte, seit Ellen gesagt hatte, sie wolle nicht, dass er die Kamera noch
einmal so vor ihr Gesicht halte und den Auslöser drücke. Sie ging mit Jakob
über die Brücke, um zu beichten. Sie schaute ihn nicht an, sie heftete ihren
Blick aufs Wasser, auf seine kalten springenden Wellen, und jedes Mal, wenn
sie auf halber Höhe stehen blieben, senkte sie ihren Kopf, wie in einem
Beichtstuhl, in dem sie ihre Sünden, mit denen sie in all den Jahren allein
geblieben war, endlich aussprechen konnte - so jedenfalls erzählte sie es
später Évi und meiner Mutter, wenn sie in Évis Küche saßen und Winzersekt in
Kristallgläser gossen. Ihre Schuld, die Kinder sich selbst überlassen und die
Kammer mit Wäsche und Bügeleisen nicht verschlossen zu haben, an die sie denken
musste, jedes Mal, wenn sie Karl anschaute und den blassen Fleck auf seiner
Schläfe sah, wo seine Haut tausend winzige Wellen warf. Ihre Schuld, dass Ben
bei seinem Vater und nicht bei ihr gelebt hatte und unter dem blauen
Kirchblüter Himmel in einen Wagen gestiegen und mitgefahren war. Wenn sie zu
den Lichtern schaute, die übers Wasser zuckten, sprangen Bilder aus dieser
Zeit heran, als sie schon einmal hier gestanden und sich gewünscht hatte, die
Strömung würde sie wegtragen, weg vom großen Platz und den schmalen Straßen,
die auf ihn zuliefen, weg von der einen Straße, an der Ben an einem
Frühlingsnachmittag aus ihrem Leben verschwunden war. Sie beichtete Jakob,
dass sie Karls Vogelbilder kaum hatte ansehen können, aus Angst, durch die
Jahre zu fallen, zurück zu einem Sonntagmorgen, an dem ein kleiner Vogel in ihr
Leben geflattert war, der seitdem durch ihre und durch Karls Nächte flog,
vielleicht sogar durch die Nächte von Karls Vater. Obwohl sie die Vorhänge,
in denen er sich verfangen hatte, im neuen Haus nicht mehr aufgehängt hatte,
obwohl sie die Hecken hatte schneiden lassen, damit ihn nichts mehr
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