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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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würde
einsperren können, flatterte er weiter durch ihr Leben und fand nicht den Weg
hinaus, mit seinen schnellen ängstlichen Flügelschlagen, so wie damals, als er
ihr wie ein Zeichen geschickt worden war, das sie nicht zu deuten gewusst
hatte.
    Mit ihren Jakobsbeichten, wie wir
sie nannten, kehrte etwas zurück zu Ellen, das sie vor Jahren abgelegt hatte.
Es war, als sei das helle Grün ihrer Augen dunkler geworden, und sie könne nun
besser sehen damit. In ihren Zügen löste sich etwas, und sie kam Schritt für
Schritt wieder ins Leben, so wie wir es kannten, wenn sie plötzlich über Dinge
lachte, über die bisher nur wir gelacht hatten, nur Aja, Karl und ich, wenn sie
an den Auslagen vorbeiging und immer etwas fand, das sie einem von uns schenken
wollte. Besuchte Karl sie an den Wochenenden, saß sie nicht mehr vor dem Fenster
zum Schilf, sondern lief durchs Haus, durch den Garten, schlug mit einem Stock
den Schnee von den Tannen, weil sie ihr Grün sehen wollte, und zog mit einem
Netz die welken Gräser aus dem Teich, um den sie sich nie gekümmert hatte. Es
sah aus, als tanze sie um sich selbst und die Dinge, die sie umgaben, schon
weil sie ihre Schritte nicht mehr so vorsichtig setzte. Sie öffnete
Terrassentüren und Fenster, ließ die Luft herein, das Zwitschern der Vögel, und
irgendwann nahm sie ein Tuch aus dem schmalen Schrank unter dem Waschbecken und
staubte die Bilder ab, die ihre Söhne zeigten.
    Schon im April sagte Jakob, Ellen
gehe leichter über die Alte Brücke, sie habe aufgehört, unter den Füßen der Minerva
stehen zu bleiben und ihren Neid zu beichten, auf alle, die zu einem Grabstein
gehen konnten, sie habe aufgehört, ihm von einer Welt zu erzählen, die ihm
fremd geblieben sei, obwohl Ellen sie mit jeder Beichte zu ihm getragen habe
und sie nur wenige Hügel weiter, hinter den Ufern des Neckars, hinter den
ersten dichten Wäldern liege. Ellen ging jetzt in Schuhen, die sie früher
einmal, zu einer anderen Zeit, zum Wandern getragen hatte, flache Schuhe mit
dicken Sohlen, deren braune Bänder sich unter kleinen Haken aus Metall
kreuzten. Sie lief auf Resten von Schnee, die das Wetter bald mitnehmen würde,
als wolle sie ihn nicht hergeben, als fürchte sie den Frühling und wolle die
Zeit nicht beenden, die dunkle Zeit des Jahres, in der sich ihre Tage so
unerwartet hell aneinandergereiht hatten, jeder Tag heller als der zuvor, seit
sie Jakob über die nassen Wege der Altstadt zum Wasser gefolgt war und unter
Schneeflocken auf der Alten Brücke vor ihm gestanden hatte.
    Ich habe mich oft gefragt, ob wir
die anderen sehen können, wie sie wirklich sind, ob wir sie je erkennen oder
nur das in ihnen sehen dürfen, was sie selbst auch zulassen. Vielleicht haben
mich die Dinge, die geschehen sind, zu diesen Fragen gebracht, oder es ist,
weil sie in Kirchblüt immer schon Lügen über Karl verbreitet haben, dass er das
Herz eines anderen trage, wo doch sein Bruder zwei lange schräge Narben hatte,
die ein Kreuz auf seine Brust gezeichnet hatten und mit der Zeit blass geworden
waren, blasser mit jedem Sommer, in dem er am Waldsee sein Hemd über den Kopf
gezogen hatte und ins dunkelgrüne Wasser gesprungen war. Wenn Aja und ich noch
an Ben dachten, wie er hätte werden können, ob einer von uns, einer wie wir,
fragten wir uns jedes Mal, wie es für Karl gewesen wäre, einen lebenden Bruder
und keinen toten Schatten zu haben, was aus ihm geworden wäre, wenn Ben bei ihm
geblieben wäre, ob Karl zu fotografieren gelernt, Vögel vor Évis Küchenfenster
beobachtet und ans Glas geklopft hätte, damit sie hochflatterten und in
unseren Linden verschwanden. Karl wäre ein anderer geworden, ich bin sicher, es
war wegen dieser Dinge, dass er manchmal so leblos schien, wie Aja und ich es
nannten, dass er so ungerührt und fern sein konnte. Das Klack-Klack in seinem
Kopf, die Blicke seiner Eltern hatten ihn zu dem gemacht, was er war, auch wenn
er es aufgegeben hatte, für seine Eltern besser sein zu wollen als andere, und
lieber Vogelbilder schoss, um ihnen zu zeigen, was sie nicht sehen wollten,
auch dass sie keine Schuld traf, anders als Karl, dessen Schuld es war, seinen
Bruder weggewünscht zu haben.
    Wir hätten uns aus den Augen verlieren
können, wie sich viele in dieser Zeit aus den Augen verlieren, die uns erwachsen
werden lässt. Aber wir blieben einander nah, wir lösten unsere Bande nicht, und
es gab nichts, das uns zu anderen hätte hinziehen und voneinander entfernen
können. Vielleicht

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