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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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langsam auf die Kuppel des
Petersdoms rieselten und liegenblieben, ohne je zu schmelzen. Vor Wochen hätte
es mir vielleicht geholfen, Rom so umzudrehen, die Stadt auf den Kopf zu
stellen, die Spitze unseres Dachs aufs Pflaster der Straße zu setzen und ein
wenig Schnee auf uns rieseln zu lassen.
    Obwohl Évi jedes Mal sagte, ich
solle nichts mitbringen, brachte ich Wein und grüne Oliven von einem Laden am
großen Platz, der vor wenigen Wochen eröffnet hatte, und wenn sie ausgespülte
Senfgläser für uns auf den Tisch und eine flackernde Kerze vors Fenster
stellte, sollte ich ihr von unseren Zimmern erzählen, von den Farben der Wände
und Fensterläden, von den orangeroten Bussen, die uns zur Hochschule brachten
und immer zu spät fuhren, von dem Plätschern des Brunnenwassers, das über den
Plätzen lag, von den Schwalben, die aus einem Meer roter Ziegel aufstiegen,
von dem Krankenhaus, in dem sie Aja Dottoressa nannten und nichts von ihren
Kunststücken ahnten, von den Sirenen der Rettungswagen, deren Klang durch unser
Viertel hoch in unsere Küche drang, auch am Abend, wenn wir warteten, bis sich
ein satter Mond auf die schrägen Dächer setzte und sein Licht in unsere
Fenster goss. Ich erzählte von Karl, den jeder Carlo nannte, von seinen hellen,
schmal geschnittenen Hemden, dem Motorroller, den er ohne Helm fuhr, von dem
roten Fiat, mit dem er uns aufs Land gebracht hatte, wo Aja über Tage
Piniennadeln aus einer Decke gezupft hatte, als könne sie ihre Hände nicht ruhen
lassen, und von den Fresken, vom Jüngsten Gericht in Orvieto, von dem wir
Ausschnitte auf den Postkarten über Évis kleinem Altar sehen konnten. Ich
erzählte von der Heuschrecke und der Gasflamme, neben der sie spaziert war,
ohne sich zu verbrennen, und von dem Skorpion, der in einer Mulde zu meinen
Füßen in meinem Bett gelegen hatte, als Karl mich abgeholt und zurück nach Rom
gefahren hatte. Ich erzählte Évi von einer fremden Welt, die auch mir schon
fremd geworden war, jetzt, da sie mit jedem Satz weiter wegrückte und mir
unendlich fern schien, nicht nur weil das Jahr schon auf Weihnachten zuging und
ich in Évis Küche saß, zwei Länder weiter, zwölfhundert Kilometer nördlich,
sondern weil sich etwas zwischen uns gestellt hatte, zwischen Karl, Aja und
mich. Ich wusste nicht mehr, waren mir Aja und Karl nach Rom gefolgt, oder
waren Karl und ich wieder nur Aja gefolgt, weil wir nicht ohne sie hatten sein
wollen. Ich war sicher, dass Évi spüren konnte, es fiel mir nicht leicht, ihr
zu erzählen, während sie Wachsreste mit dem kleinen Messer vom Tisch kratzte,
mit dem sie früher Ajas Stifte gespitzt hatte, wenn sie mit zwei Fingern
Knoten aus ihrem Haar löste, in dem ich nicht einen grauen Faden entdecken
konnte. Sie umarmte mich lange, bevor ich über die losen Platten zum
schiefhängenden Tor in die Nacht ging. Ich hätte Aja nach Kirchblüt geholt und
sie mit uns am Tisch, vor den ausgespülten Senfgläsern sitzen lassen, sagte
sie, sie habe den Lärm auf den Straßen Roms hören und den Schwalben nachschauen
können, wenn sie ihre Nester verlassen hätten und über den Kuppeln ins Blau
des Himmels geflogen seien. Sie gab mir ihre Taschenlampe, wartete in der Tür
und schaute mir nach, als könne ich mich in der Dunkelheit verlaufen, als könne
ich den Weg nach Hause nicht finden, als sei ich ihn nicht unzählige Male
schon gegangen. An der Brücke blieb ich stehen, dort wo im Sommer der
Klatschmohn geblüht hatte, warf den Kopf in den Nacken, und wenn die Nacht klar
genug war, konnte ich über den Feldern den Kleinen Wagen im Kirchblüter Himmel
sehen.
    Am Tag der heiligen Barbara
schnitt Évi einen Zweig vom Kirschbaum und stellte ihn ins Wasser, damit er an
Heiligabend blühen würde. Mitte Dezember fiel der erste Schnee, den Aja in der
Nacht zuvor gespürt hätte, und Évi gab mir einen Brief, den der Postbote ihr
am Fliegengitter überreicht und nicht in den Blechkasten am schiefhängenden Tor
geworfen hatte. Aja hatte ihn geschickt, weil sie glaubte, hier würde er mich
erreichen, ich würde in Évis kalter Küche sitzen und auf unsere Linden schauen,
die Évi jeden Tag daran erinnerten, wie weit Aja von ihr entfernt war, wie sie
sagte, auf die Meisen, die auf Futterringen vor dem Fenster landeten und
hochflatterten, wenn ich ans Glas klopfte, so wie Karl es früher getan hatte,
wenn er sie hatte fotografieren wollen. Aja schrieb, heute fallen die Blätter
schon sehr, selbst hier fallen sie schon sehr, und sie

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