Bank, Zsuzsa
fragte, wie kann es
sein, dass du nicht bei mir bist und mit mir auf den Mond wartest, wenn du ihn
jetzt sehen könntest, jetzt, da er vor unserem Fenster sinkt und nach den
ersten Dächern greift. Während ich las, fiel Schnee auf unsere Linden, so langsam
wie der Kunstschnee in Évis Kugel, die Aja zwischen Postkarten und Reiseführern
in der heißesten Stadt gekauft hatte, zwischen den heißesten Steinen, die im August,
sollte die Temperatur jemals einbrechen, über Tage noch Wärme abgeben würden.
Lilien stünden in einer Vase auf dem Küchentisch, schrieb sie, und ich wusste,
wie es dort aussah, unter dem Fenster, den geschlossenen Läden, die das Licht
in helle Streifen teilten, auch jetzt noch, da der Winter selbst in Rom Einzug
hielt.
Zum ersten Mal spürte ich keine
Sehnsucht danach, weil nichts in mir dorthin wollte, aber es schmerzte mich,
dass ausgerechnet uns etwas getrennt hatte, dass ausgerechnet unsere Wege in
andere Richtungen zeigen sollten. Aja fragte nach Kirchblüt, nach Évis Garten,
nach dem großen Platz, ob die Buden schon aufgestellt seien und ich heiße
Maronen gekauft habe, ob ich auf der Eisbahn gewesen sei, den Zug nach
Heidelberg genommen habe, um Jakob und Ellen zu treffen. Nichts davon hatte ich
getan, zu nichts hatte ich Lust gehabt, und ich ärgerte mich, weil ich in Rom
nicht sein und in Kirchblüt nicht ankommen, weil ich nirgendwohin flüchten
konnte, weil Aja mich bis hierher verfolgte, und so wie ich sie nicht
freigeben wollte, auch mich nicht freigab. Ob ich ein Stück grüner Seife
mitgenommen habe, wollte sie wissen, so wie wir es gehalten hatten, die
wenigen Male, die wir nach Kirchblüt gefahren waren und immer ein kleines Stück
grüner Seife mitgenommen und in die Schale ans Waschbecken gelegt hatten. Wenn
es kleiner geworden war und sich schließlich aufgelöst hatte, wussten wir, der
Süden war zu weit weggerückt, wir mussten uns aufmachen und den nächsten Zug
vor Mitternacht nehmen, der uns wieder nach Rom bringen würde. Diesmal hatte
ich keine Seife nach Hause mitgenommen, ich brauchte nichts, das mir zeigen
würde, wie schnell oder wie langsam die Tage mit meinen kurzen Wegen zwischen Évi
und meiner Mutter vergingen. Die Farben des Südens hatten angefangen, in meiner
Vorstellung zu verblassen, ich brauchte keine Seife, die kleiner wurde, um zu
sehen, wie weit Aja und Karl von mir entfernt waren und wie weit ich mich von
ihnen fortbewegt hatte. Aja fragte, warum die Blumen, die sie bei der ersten
Kälte vom Balkon hereingeholt hatte, nach wenigen Tagen eingegangen seien, ob
sie die Wärme nicht mochten und es lieber kalt hätten, warum sie nur bei Évi
blühten und wuchsen, und Évi musste lachen und den Kopf schütteln, als ich es
vorlas. Wir hatten uns immer schon Briefe geschrieben, Aja, Karl und ich, als
wir in Kirchblüt und später in Heidelberg gewohnt hatten, hatten wir uns
Briefe und Karten geschrieben und in die Briefkästen geworfen, wenn wir uns
nicht hatten sehen können. Seit wir in Rom waren, hatten wir angefangen, sie zu
beenden mit einem Satz, den Karl irgendwo gelesen hatte und seitdem unter
seine Briefe setzte: Bleib fern von offenen Fenstern. Als hätten wir aufpassen
müssen, als hätte uns der Mond vor unserem winzigen Balkon gefährlich werden
können, wenn er uns nachts ans Fenster gelockt hatte.
Aja hatte diesen letzten Satz
unter ihren Brief geschrieben, als könne ich in Kirchblüt aus meinem alten
Zimmer fallen, oder wo immer sie glaubte, dass ich jetzt wäre. Aber es klang
anders diesmal, für mich klang es anders, als habe dieser Satz seine Gültigkeit
im Sommer verloren, als berge er nur noch eine Lüge, als könne ich nicht mehr
glauben, Aja wolle mich warnen, sie wolle immer noch, dass ich fern von offenen
Fenstern blieb.
Zwei Tage vor Weihnachten kam ein
Päckchen mit einer Kassette, darauf das Meeresrauschen, das Aja und Karl aufgenommen
hatten, damit ich mich nicht zu sehr danach sehnen müsse, wie Aja schrieb. Ich
konnte es hören, das Meer vor Ostia, wie es klang im Dezember, wenn niemand
außer Aja und Karl am Strand war, die riefen: Hörst du es, das Meer vor Ostia,
hörst du es, unser Ostiameer? Und dann rauschte und toste es, und ich konnte
sie mir vorstellen, ich brauchte kein Bild dazu, ich konnte sie sehen, vor den
algenüberwucherten Pfählen, in ihren langen Mänteln und festen Schuhen, Karl
mit einer Kapuze über dem Kopf, Aja mit einem Tuch, mit dem sie ihr Haar
zurückband und die Ohren schützte,
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