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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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uns
von meinem Vater geblieben war, hätte sie auch dann retten wollen, sie hätte
trotzdem an seinem Grab gesessen und bis zu dem Tag gewartet, an dem ich alt
genug wäre, es mir zu sagen. Nur die eine Frage ließ sie nicht los, sie hatte
sich an den Mückenschwarm gehängt und folgte ihr durchs Haus, über die Straßen
zur Spedition und alle Wege Kirchblüts, die Frage, ob mein Vater das Leben mit
uns nur hatte leben können, weil es noch ein anderes gegeben hatte. Meine
Mutter hatte versucht, eine Antwort zu finden, jedes Mal, wenn sie die Via
Giovanni Antonelli abgelaufen war und auf das Haus mit der Nummer achtzehn
gestarrt, wenn sie nach einer Elsa Ausschau gehalten und sich bei jedem Gesicht
einer Frau ihres Alters gefragt hatte, ob sie es sein könnte, ob sie jene Elsa
sein könnte, die mit meinem Vater ein kleines Leben geteilt hatte, das für
meine Mutter und mich groß genug war, um unsere Welt, wie wir sie gebaut und
geschmückt hatten, auseinanderzupflücken.
    Évi wusste davon. Wenn jemand
davon wusste, dann Évi, meine Mutter musste es ihr erzählt haben, weil sie an
den Abenden öfter zusammensaßen, seit wir in Rom waren und Ellen nur noch
selten in Kirchblüt zu sehen war. Ich glaubte, es an ihrem Blick zu erkennen,
an ihrer Art, mich zu umarmen, die Tür mit dem Fliegengitter zu öffnen, zum Tor
hinauszulaufen und mir unter Karls Linde übers Haar, über die Wangen zu
streichen, als müsse sie mich trösten, als ahnte sie, ich hatte im Haus meiner
Mutter Zuflucht gesucht und nicht gefunden, ich war der einen Welt entflohen,
nur um zu sehen, es gab auch die andere nicht mehr. Im Sommer hätte ich kommen
sollen, sagte Évi, als der Klatschmohn rot unter der Brücke gestanden habe und
der Storchschnabel gewachsen sei, dessen Samen einst meine Mutter gebracht
hatte, und obwohl sie mich aufmuntern wollte, klang es fast ein wenig traurig.
Die Blumen hätten die Gräser verdrängt, und der Klee, den Karl vor Jahren am Zaun
gesät hatte, habe zum ersten Mal geblüht, ausgerechnet jetzt, als wir nicht da
gewesen seien, um es sehen zu können. Der Herbst hielt Évis Garten schon
gefangen, aber trotz des klammen Tages saßen wir draußen auf ihrer Bank,
zwischen Kissen und Decken, legten die Füße auf einen Stuhl und schauten auf
die roten Blätter des Birnbaums. Ich musste nichts sagen, Évi konnte selbst
sehen, ich war allein, ich war ohne Aja und Karl gekommen. Sie brauchte nicht
zu fragen, sie wusste, ich würde nicht reden, ich würde nichts davon erzählen,
nur hier sitzen wollen, ihren schwarzen Tee trinken, in den sie Kardamom gab,
und ihren Kuchen essen, zwei Stücke Linzer Torte, die sie auf abgeschlagenen
Rosentellern auf den Tisch gestellt hatte.
    Als es am Abend kühler wurde,
gingen wir hinein, und über Évis kleinem Altar entdeckte ich die Postkarten,
die wir mit Grüßen vom heiligen Franz geschickt und nie ernst genommen hatten,
von denen wir aber wussten, Évi würde sie ernst nehmen, sie würde sie über
ihrem Altar hüten wie Schätze, über seinen Blütenblättern und hohen Kerzen, die
sie sich mitbringen ließ, von Klöstern und Pilgerstätten, wann immer sich
jemand dorthin aufmachte. Jetzt sah ich sie wieder, die Verdammten, die in die
Hölle einzogen, die Mutter Gottes, die Engel schwebend über den sanften grünen
Hügeln, über die wir im Sommer noch gefahren waren, in einem roten Fiat, aus
dem wir Hände und Füße hatten baumeln lassen, als wir die Hitze und den Lärm
der Stadt verlassen hatten, um zwischen Heuschrecken und Libellen gleißend
helle Tage zu verbringen und alles aufs Spiel zu setzen, was unser Dreieck
zusammengehalten hatte.
    Zigi war erst vor kurzem
abgereist, ich hatte ihn abgelöst. In diesen Tagen und Wochen, in denen ich in
meiner alten Wäsche, in meinem alten Bett schlief, in meinen alten Büchern
las, in meinen Heften mit den ersten, frühen Übersetzungen, über die ich
lachen musste, weil sie mir ungeschickt und ungelenk vorkamen, ging ich oft zu
Évi. Während meine Mutter versuchte, den Namen Elsa abzuschütteln, ihn aus
dem Haus zu jagen und ihm den Weg zum Schlafzimmer zu versperren, wenn er ihr
über die Treppen hoch zu ihrem Bett folgen wollte, reihten sich meine Tage
still aneinander. Es trug mich und fing mich auf, an Évis Küchentisch zu
sitzen, vor der Schneekugel, die Aja in unserem ersten Sommer in Rom geschickt
hatte und die Évi immer wieder umdrehte und aufstellte, als könne sie nicht genug
kriegen davon, wenn die weißen dicken Flocken

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