Bank, Zsuzsa
Leben aus, das mein Vater in einem anderen Land, in einer anderen
Stadt, mit einer anderen Frau geführt hatte, die auf den einen Tag gehofft
hatte, von dem sie immer wieder schrieb, an dem er seinen Koffer nicht nehmen
und gehen, sondern bleiben würde. Die Namen Maria und Therese tauchten in den
Briefen nicht auf, eine Frau und ein Kind kamen nicht vor, es gab uns nicht,
zwischen Elsa und meinem Vater hatte es uns nie gegeben. Nichts hatte sie von
seinen zwei Leben gewusst, dem großen mit uns und dem kleinen mit ihr, das sie
für das einzige gehalten haben musste, wie meine Mutter sagte, die plötzlich
nicht mehr sicher war, welches für meinen Vater das große und welches das
kleine Leben gewesen sei.
Sie hatte sich zu erinnern versucht,
wie oft mein Vater nach Rom geflogen war, wie oft er einen seiner Fahrer
begleitet hatte und wie er nach seiner Rückkehr gewesen war, ob sie etwas hätte
merken müssen, an seiner Art, mit ihr zu reden, sie anzuschauen und
anzufassen. Aber nichts fiel ihr ein, sosehr sie auch darüber nachdachte,
wollte ihr nichts einfallen, über das sie Jahre später noch hätte stolpern können.
Eine Fremde war in ihrem Wagen mitgefahren, nicht mein Vater, eine Fremde, von
der meine Mutter kein Bild hatte, nur eine Vorstellung, mit der sie vor wenigen
Wochen noch durch Rom gelaufen war, um in den Gesichtern das eine Gesicht zu
suchen, das es hätte sein können, eine Art sich zu kleiden, das Haar zu tragen
und mit kleinen, sicheren Schritten übers ewige Pflaster zu gehen. Als ich mit
herrenlosen Katzen durch die Foren spaziert war, um Karl und Aja zu entkommen,
war meine Mutter zum Hotel gelaufen, dessen Adresse und Telefonnummer mein Vater
einmal aufgeschrieben und wo meine Mutter nie angerufen hatte. Sie hatte sich
aufgemacht in die Via Giovanni Antonelli, die als Absender auf den Briefkuverts
stand, um von gegenüber auf das Haus mit der Nummer achtzehn zu schauen, auf
dessen Türschild der Name Elsa Donati aber nicht auftauchte. Die Leichtigkeit,
die ich an meiner Mutter zu sehen geglaubt hatte, war nur eine Art
Vogelfreiheit, die sie an nichts mehr band, ein Lachen über sich selbst,
darüber, fast ein Vierteljahrhundert mit einem Koffer gelebt zu haben, mit dem
sie nicht meinen Vater, sondern nur seine schmutzige Wäsche spazieren gefahren
hatte, und die Briefe einer Elsa, die meine Mutter wie ein Gespenst heimsuchte,
das sie auf den Straßen und Plätzen Roms einzufangen gehofft hatte. Einen
letzten Brief, eher eine Notiz, hatte meine Mutter im Koffer gefunden. Elsa
hatte geschrieben, in der Eile des Aufbruchs habe mein Vater den Koffer auf
dem Zimmer liegenlassen und sei die Treppen hinabgesprungen, weil sein Taxi
schon gewartet habe. Sie habe den Koffer erst Tage später am Flughafen nachschicken
lassen und gewusst, dieses Mal sei es nur sein Koffer gewesen, aber das nächste
Mal würde er bleiben, sie würden sich nicht mehr trennen müssen. Wie sie von
seinem Tod erfahren hatte, wusste meine Mutter nicht, es gab keine Briefe aus
der Zeit danach. Sie wird in der Spedition angerufen haben, sagte meine
Mutter, und jemand wird ihr gesagt haben, Hannes Bartfink lebt nicht mehr,
seine Frau hat die Geschäfte übernommen.
Ich fragte mich, ob meiner Mutter
erst mit den Jahren Zweifel gekommen waren, jedes Mal, wenn sie im Wagen auf
den Sitz neben sich geschaut und sich den Tag vorgestellt hatte, an dem sie den
kleinen Schlüssel aus dem Sekretär holen und die Schlösser aufspringen lassen
würde. Oder ob sie schon etwas geahnt hatte, als mein Vater aus Rom zurückgekehrt
war und sie am Flughafen lange hatte warten müssen, mit diesem Gefühl der
Unruhe, das sich damals kaum gelegt hatte und das sie danach weggeschoben haben
musste, wie sie vieles wegschob von sich, jedenfalls hatte sie in all den
Jahren am Grab meines Vaters gesessen und zu ihm gesprochen, als habe sie es
vergessen können. Erst dieser Sommer, in dem sie den Koffer geöffnet hatte,
habe es zurückgebracht und alles aufgehoben, sagte sie, habe die Tage mit
meinem Vater gedreht und in schwarzes Licht getaucht, als ob es das gebe,
schwarzes Licht, und zum ersten Mal sei ihr der Gedanke gekommen, meinen Vater
hätte man bestrafen müssen, nicht sie, als sei sein Tod eine Strafe für sie
gewesen, als sei es das richtige Wort dafür. Das Verrückte sei, ihr Gefühl für
meinen Vater habe sich nicht verändert, selbst wenn sie es gewusst, wenn sie
es früher schon gewusst hätte, hätte es nichts geändert. Das wenige, was
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