Bank, Zsuzsa
Mutter
Rom mein verlorenes Rom nannte, warum sie jetzt in unserer Küche saß, mit Blick
auf die roten Dächer, den Kopf gesenkt, ein bisschen wie einer dieser
Fassadenengel, denen die Flügel zu schwer geworden waren. Warum sie sich am
Abend aufmachte, die Via Antonelli zu umkreisen, am Haus mit der Nummer
achtzehn hochzuschauen und zu versuchen, in den Fenstern etwas zu erkennen,
obwohl es dort kein Türschild mit dem Namen Elsa Donati gab. Warum sie die
Straßen ablief, als könne sie noch Beweise für etwas finden, das vor mehr als
zwanzig Jahren geschehen war, warum sie noch immer das Hotel aufsuchte, dessen
Anschrift mein Vater ihr damals hinterlassen hatte. Meine Mutter hatte am
Empfang gebeten, nachzusehen, ob mein Vater hier gewesen sei, ob der Name
Hannes Bartfink in den Büchern stehe, und man hatte die Hände
zusammengeschlagen und ihr erklärt, keines der Bücher habe man so lange
aufgehoben, auch das nicht, in dem der Name Hannes Bartfink stehen könnte, zum
letzten Mal im Mai 1960.
Évi kochte für ein Picknick am
Strand, sie wollte ans Meer fahren, das sie noch nie gesehen hatte, und als sie
glaubte, genügend Hühnchen eingelegt und gebraten zu haben, packte sie die
Kühltaschen, die Karl besorgt hatte, und wir nahmen mittags die Bahn nach
Ostia, weil Évi wissen wollte, wohin wir an unserem ersten Tag in Rom gefahren
waren, welche Wege Aja damals gegangen war, als wir in Termini aus dem Zug
gestiegen waren und unsere Taschen und Koffer am Schalter gelassen hatten.
Ellen trug einen großen Strohhut mit blauen Bändern, der einen Schatten auf
ihre schmalen weißen Schultern warf, weil ihr die Sonne zu stark war und sie
ohne Hut Kopfschmerzen bekam, wie sie sagte. Sie lief vor uns zum Wasser
hinab, in flachen Badeschuhen, ihre Schritte so, als gehe sie auf Absätzen,
mit ihrer bunten Tasche, in deren Seitenfach das Foto steckte, das Jakob von
ihr geschossen hatte, als sie sich zwischen Eis und Schnee auf der Alten
Brücke begegnet waren, Ellen in ihrem blauen Mantel mit dem Fellkragen, in
einem Winter, der schon fern und unwirklich geworden war, als habe es ihn gar
nicht gegeben. Ellen mietete Strandstühle, drehte Stöcke in den Sand, spannte
mit Karl ein großes gelbes Tuch und band es fest, damit es die Sonne von uns
fernhalten würde. Die Jahre schienen weit weggerückt, in denen Ellen
ausgesehen hatte, als habe man sie ins Leben geworfen und dann sich selbst
überlassen, die Jahre, in denen unsere Mütter einander aufgefangen und gehalten
hatten, damit sie nicht stürzten, und wenn doch, wieder aufstehen und
weitergehen konnten. Wer Ellen jetzt begegnete, wer sie zwischen den Mauern
Roms, am Strand von Ostia zum ersten Mal sah, konnte nicht ahnen, wie sie
früher gewesen war, als sie stumm und blind durch ihre Tage gefallen und ins
Leben erst zurückgekehrt war, seit sie Jakob getroffen hatte. Nie hätte sie
früher losziehen und Stühle mieten, Stöcke in den Sand stecken und ein Tuch
gegen die Sonne aufspannen können, weil ihr selbst die einfachsten Dinge zu
schwer gewesen waren. Aber jetzt konnte sie es, und es machte ihr nichts mehr,
wenn sich Karl am Strand von Ostia mit seiner Kamera aufmachte, um Schatten zu
fotografieren, zwischen den wenigen Besuchern und den Sonnenstrahlen, die ins
schmutzig grüne Wasser stachen. Als er zurückkam, schrieb er meinen Namen in
den Sand, wie um mir zu zeigen, er hatte mich nicht vergessen, er wusste noch,
dass es mich gab, auch wenn die ersten Wellen schon das I mitnahmen, als Aja
hinter den Schirmen auftauchte und ihre Hand mit den drei Fingern über die
Augen hielt.
Sie hatte Wein gekauft, von dem
Geld, das sie im Krankenhaus verdiente, am Abend goss Karl ihn in Gläser, und
als falle ihm jetzt erst auf, mit wem wir hier saßen, stieß er mit uns an und
sagte: Auf Évi, Ellen und Maria. Die Lichter an der Straße gingen an und
warfen ihr mattes Gelb bis zum Strand. Évi und Aja schlugen ihre Räder in den
weißen Schaum der Wellen und ließen den Saum ihrer Kleider nass werden, als der
Mond seine schmale Sichel über den Pfählen zeigte und wir vergaßen, uns auf
den Weg zurück in die Stadt zu machen. Évi sagte, wir sollten hier schlafen,
und zeigte auf den Sand vor ihren nassen Füßen, so wie in unserer ersten
Nacht, als wir nicht gewusst hatten, wohin, und bis zum Morgen an einem leise
schwappenden Meer geblieben waren. Erst dachte ich, meine Mutter und Ellen
hätten Évi nicht verstanden, als sie nickten und weiter aufs Wasser
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