Bank, Zsuzsa
war, einfach weitergeschlafen hatte. Was hätte Évi uns schon
sagen können, was hätte die kleine angesichts der großen Lüge geändert. Évi
hätte Karl zu schützen versucht, ich war sicher, sie hätte es als ferne Sünde
abgetan, die man Karl nach Jahren einfach verzeihen müsse. Aber Aja konnte ihm
nicht verzeihen, nicht jetzt, da alles anfing, vor unseren Augen zu tanzen und
zu flimmern, die Flussgötter am Brunnen mit ihren Bärten und toten Gesichtern,
mit ihren großen Händen und gespreizten Fingern, die schmalen Absperrungen aus
Eisen, die Münzen auf dem Grund des Beckens, die durchs Wasser schimmerten,
die Steine des weiten Platzes, der vor uns lag wie ein Schiff, das Anker
gelichtet hatte und gleich mit uns in See stechen würde, zu einem unbekannten,
fernen Ziel, und auch später konnte Aja ihm nicht verzeihen, als wir schweigend
den Weg nach Hause gefunden hatten, hoch zur Brüstung vor unserem Küchenfenster,
an der Évi noch wenige Abende zuvor gestanden hatte und auf die jetzt Aja ihre
Hände legte, um nicht taumeln zu müssen, da alles zu flackern begonnen hatte,
die schräg fallenden Dächer, die wenigen Baumkronen und die Antennen, die den
Nachthimmel aufspießten und festhielten, als wollten sie den Morgen nicht mehr
hereinlassen.
Karl glaubte, Ajas Fieberblick,
der ihre Augen dunkler färbte und ihnen einen Schatten gab, würde aufklaren,
sobald es hell würde, sie würde ihre Hände von der Brüstung nehmen und sich zu
ihm drehen. Mit dem ersten Licht würde sich alles legen, so wie sich damals
nach jener Winternacht alles gelegt hatte, weil Évi nicht mehr davon
gesprochen und es für besser gehalten hatte, es zu vergessen, weil sie Ellen
und meiner Mutter verboten hatte, es der Polizei zu melden und weiter davon zu
erzählen, wie sie auf ihren Wegen durch Kirchblüt nach dem einen suchten, der
es gewesen sein könnte. Aber nichts legte sich, nichts war mehr wie in den
Tagen und Wochen zuvor, als dürften wir uns plötzlich nicht mehr bewegen, als
könnten wir keinen Schritt mehr gehen, ohne über eine Lüge zu stolpern und zu
verstehen, sie hatte uns seit Jahren begleitet und nur darauf gewartet,
ausgesprochen zu werden. Es schmerzte mich, Karl und Aja so sehen zu müssen,
und ich wurde den verrückten Gedanken nicht los, ich selbst hätte es
verschuldet. Ich dachte an die fliegenden Engel, ihre grünen und roten Flügel,
an die Verdammten und ihre Einkehr in die Hölle, die wir auf den Fresken
gesehen hatten und später auf den Postkarten, die wir Évi vor einem Jahr erst
geschickt hatten. Karl und ich gehörten dazu, wir gehörten zu diesem Heer der
Verdammten, weil eingetreten war, was ich mir einen Herbst und einen Winter
lang gewünscht hatte. Aber es fühlte sich anders an, nicht, wie ich es mir im
Zug nach Hause, wie ich es mir in Évis Garten, in meinem alten Zimmer
vorgestellt hatte, und ich schämte mich, weil ich meinen Wunsch zu spät
aufgegeben hatte, Karl und Aja würde etwas auseinanderbringen, Karl würde
unser Dreieck verlassen, genauso schnell, wie er sich einmal an seine Spitze
gesetzt und es zu Ende gezeichnet hatte. Aja würde keine Zeit mehr bleiben,
mit Karl durch einen Flur zu tanzen und einen Hut aufzusetzen, alles war
plötzlich anders geworden, als Aja und ich es uns vorgestellt hatten, wenn wir
in einem Tuch zwischen zwei Bäumen geschaukelt, zu Évi und Zigi durchs Fenster
geschaut und geglaubt hatten, so würde es eines Tages auch für uns werden. Ein
altes Gefühl holte Aja ein, das sie nach Zigis Sommer zum ersten Mal überfallen
hatte, als wir auf dem Feldweg gesessen und gehofft hatten, der Weizen würde
gemäht und abgetragen, zwischen dem Aja neben einem springenden, hüpfenden
Zigi Fahrrad fahren gelernt hatte. Alles hatte in jenem Sommer danach ausgesehen,
als würde er nicht enden, und doch hatte Zigi seinen schwarzen Koffer
genommen, war mit Évi zur Haltestelle gelaufen, unter den Kastanien in den Bus
gestiegen und hatte sich trotz Ajas Flehen, er solle bleiben, einfach aus
Kirchblüt wegtragen lassen.
Aja fing an, die Weihnachtskugeln
aus dem Fenster zu schmeißen, die Évi nicht mit einem unserer Fahrer geschickt,
sondern im Flugzeug zwischen ihre Füße gestellt hatte, aus Angst, sie würden
zerbrechen, wenn keiner auf das Paket aufpasste, das auf dem Schränkchen neben
der Spüle lag, seit unsere Mütter abgereist waren. Kugel für Kugel ließ Aja sie
aus den Händen fallen, mundgeblasene Weihnachtskugeln aus Kirchblüt, während
ihr Blick
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