Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
Vom Netzwerk:
auf den rostroten Dächern ruhte, und sie immer kurz wartete, bevor
sie die nächste warf, als sei ihr gleich, wie viel Geld Évi für sie ausgegeben,
wie lange sie die Kugeln ausgesucht, zwischen spitzen Fingern gedreht und
gewendet, vorsichtig in Papier gewickelt und in eine Kiste mit der Aufschrift
Hannes Bartfink Sped. gepackt hatte. Ich lief die Treppen hinab, holte
Schaufel und Besen aus dem Hof, um die Scherben aufzukehren, und Karl half mir
und schnitt sich viele Male an den scharfen Kanten. Eine schmale Blutspur lief
von den Handflächen über seine Arme, und weil winzige Splitter aus buntem Glas
darin schwammen, bestand ich darauf, Karl ins Krankenhaus auf der anderen Seite
des Tibers zu begleiten, holte zwei Geschirrtücher und band sie fest um seine
Unterarme, wo sich kleine rote Flecken ins Weiß färbten. Eine Krankenschwester
nahm die Splitter mit einer Nadel auf, weil die Pinzette sie nicht fassen
konnte, und fragte, ob Karl sich schon einmal verletzt habe, ohne Schmerzen zu
spüren. Karl nickte, und ich wunderte mich, weil ich auch davon nichts gewusst
hatte und mich nicht erinnern konnte, ob Karl jemals Schmerzen empfunden
hatte, wenn er als Kind gefallen war, wenn er sich gestoßen oder geschnitten
hatte oder von seiner Linde gestürzt war.
    Judasküsse nannte Aja jetzt Karls
Küsse, so wie Évi früher gesagt hatte, wenn Aja ihr nach einem Streit einen
Kuss gegeben hatte. Ein Stein lag zwischen Aja und Karl, einer von den Steinen,
wie sie unter der Brücke über den Klatschmohn im Bachlauf zu finden waren.
Karl konnte ihn nicht mehr berühren, sosehr er sich wünschte, er könne ihn aufheben
und über die Felder werfen. Seit wir Karl kannten, seit er vor so vielen Jahren
nach Kirchblüt gezogen war, war er vor Évis Haus über die losen Platten zum
schiefhängenden Tor balanciert, war mit Aja vom Badesteg gesprungen und durch
den Waldsee geschwommen, hatte Zapfen gesammelt und sie an Wintertagen in Évis
Küche mit Farbe bepinselt, hatte Aja beim Radschlagen zugesehen und irgendwann
selbst die Hände aufgesetzt und die Beine hochgerissen. Er war mit Aja durch
den Mais gejagt, wenn er hoch genug stand, im Schatten der Platanen über den
großen Platz, durch die Gänge unserer Schule und ihren Hof, er war zur
Eishalle geeilt, um Aja ihren Schal hinterherzutragen, wenn sie ihn am
Kleiderhaken vergessen hatte, und er hatte von einer klammen Bank aus
zugeschaut, als Aja angefangen hatte, in roten Schlittschuhen erste Pirouetten
zu drehen. Er war neben ihr erwachsen geworden und hatte es mit ihr über die
herbstnackten Felder vor Évis Garten geschrien. Er hatte sie in Heidelberg von
der Pathologie abgeholt, vom Leichenkeller, um mit ihr durch die Sonne zu laufen
und darüber eine Weile den Tod zu vergessen. Er hatte sie an den Trägern ihres
Badeanzugs hochgezogen, wenn sie in Ostia zu weit draußen getaucht war, er
hatte sie aus Rom hinaus zu Sonnenblumenfeldern gefahren, und zwischen Felsen
hatte er alles in seinen Blick gelegt, was er ihr hatte sagen wollen. Er hatte
ihr den ersten Ring geschenkt, und Aja hatte ihn an ihren Finger gesteckt,
obwohl sie nie einen hatte tragen wollen. Er hatte zugesehen, wie sie ihr Haar wachsen
ließ, obwohl sie langes Haar nie gemocht hatte, und bei allem hatte er immer
gewusst, wer den Stein durch ihr Fenster geworfen hatte, und nie etwas gesagt.
    Karls Gesicht sah anders aus, wenn
er in diesen Tagen auf seiner Liege saß, wie das eines Langstreckenläufers, dem
das letzte Stück vor dem Ziel zu viel Kraft genommen hatte. Zum ersten Mal sah
es anders aus, mit dem blassen Fleck unter der Schläfe, dort wo sich die Haut
in unzählige Wellen legte, mit seinen glatten feinen Zügen, die Karl hinter einer
Brille mit dunklen Rändern und schulterlangen Haaren versteckte, die ihm bei
jeder Bewegung in die Stirn fielen, als sei dieses Gesicht selbst mir fremd
geworden, obwohl ich jeden Winkel darin kannte, als habe Karl uns über Jahre
ein anderes, ein zweites Gesicht gezeigt. Er sagte mir, Aja habe ihre Beine so
bewegt, ihren Hals und Kopf so gehalten, dass er immer habe an Rehe denken
müssen, wenn sie mit ihrem feuerroten Schulranzen über den großen Platz
gesprungen, wenn sie auf Kufen übers Eis getanzt, wenn sie über die Gänge des
Krankenhauses gelaufen und in ihren Schuhen mit den Stoffblumen über die
steilen Treppen an die Strände geklettert sei. Wann immer er Rehe auf einem
seiner Streifzüge durch den Wald gesehen hatte, habe er an Aja denken müssen,
wenn er

Weitere Kostenlose Bücher