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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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auf einem der Hügel hinter dem Neckar über Nacht geblieben und für
seine Bilder auf das erste Licht am Morgen gewartet hatte, wenn er die Tiere
dann ohne jede Regung dicht beieinanderstehen gesehen hatte, als warteten sie
nur auf ein Geräusch, um loszuspringen und im Dickicht zu verschwinden. Ich
fragte nicht, wie lange er Aja schon mit diesem Blick angesehen hatte, wann
genau er angefangen hatte, an Rehe zu denken, wenn sie ihren Kopf zu ihm
gedreht und ihn angeschaut hatte. Wann genau es begonnen hatte und wann Aja und
ich etwas verpasst und übersehen hatten.
    Abermals hatte sich alles gedreht
und verschoben, seit wir im Frühling auf dem großen Platz gesessen und Aja und
Karl ausgesehen hatten, als hätten sie abgeschüttelt, was sie jemals an
Kirchblüt gebunden hatte. Karl brüllte mich an, er heiße Carlo, wenn ich Karl
zu ihm sagte, und weil ich glaubte, ich dürfe ihn nicht allein lassen, ging ich
an den Abenden mit ihm nach Trastevere, in ein Lokal mit wenigen Tischen, weil
er in unserer Küche nicht mehr essen wollte, seit Aja dort am Fenster stand,
zwischen den Stimmen unserer Mütter, die jetzt leiser geworden waren. Wir
redeten wenig, und wenn Karl nichts von dem berührte, was ich bestellt hatte,
wenn er den Kellner alles mitnehmen ließ, wie es gebracht worden war, dachte
ich, dass ich mich fast schon an Aja und Karl als Paar gewöhnt hatte. Wir
fuhren nach Ostia, ohne Helme auf Karls Roller, unter einer weißgrauen
Wolkendecke, in die der Wind ein Loch gerissen hatte, über die breiten Straßen
von EUR, die Karl einen Sommer lang fotografiert hatte, und obwohl es Karl war,
den ich glaubte, nicht aus den Augen lassen zu dürfen, schon wegen seiner
verbundenen Hände, hatte ich ein komisches Gefühl, Aja am Küchenfenster
zurückgelassen zu haben, und mir fiel der eine Satz ein, mit dem wir unsere
Briefe beendet hatten: Bleib fern von offenen Fenstern.
    Die ersten Boote lagen auf dem
Wasser, das an diesem Tag sanft aussah und dessen Wellen harmlos wirkten, als
kämen sie gegen das bisschen Wind nicht an, das an den Sonnenschirmen zupfte.
Karl sagte, das Meer sei heute zu mild, um Seeschlangen ans Land zu schicken,
aber er hätte gerade nichts dagegen, und ich musste lachen, weil es Karls alter
Ton war, der in den letzten Tagen verschwunden war und den ich jetzt wieder
hören konnte. Ich dachte an das Boot mit dem Jungen, das von der Strömung
mitgenommen worden war, an dem kleinen Strand, zu dem Ellen uns gefahren
hatte, daran, dass es Karl hätte warnen und ihn davon abhalten müssen, uns zu
sagen, wer den Stein damals in Ajas Fenster geworfen hatte. Ich wusste nicht,
war ich wütend auf Karl, weil er uns erzählt hatte, was niemand hätte wissen
brauchen, oder weil er es zu lange verschwiegen hatte. Selbst die hellen Tage
hatten etwas verborgen und versteckt gehalten, und Karl hatte sie in seinem
blinden Taumel zerbröselt, er hatte geglaubt, es könne so bleiben, es könne
sich endlos so fortsetzen, er brauche keine Angst und keine Scheu zu haben, er
könne jede Vorsicht vergessen, als sei er selbst in ein Boot gestiegen und
losgerudert, ohne auf den Wind zu achten, als habe ihn das Wasser mitgenommen
und zu weit hinausgetragen, um sich noch gegen die Strömung ans Land zu retten.
Bis zum Abend vergruben wir im warmen Sand unsere Füße, wenige Schritte von
dort, wo wir mit unseren Müttern gelegen hatten und über Nacht geblieben waren.
Nichts war mehr, wie es sein sollte, auch wenn jeder, der uns sah, hätte denken
können, dass es für uns ein harmloser milder Tag war in einem harmlosen milden
Leben. Karl legte den Kopf an meine Schulter und sagte, du riechst so gut nach
Staub. Es klang müde und hörte sich verdreht an, als habe er eigentlich etwas
anderes sagen wollen und sich versprochen, aber dann wiederholte er es, du
riechst so gut nach Staub, als habe er meine Zweifel gespürt und wolle sie
verscheuchen. Wir fuhren erst spät wieder über die leeren breiten Straßen von
EUR, weil wir nicht wussten, warum wir überhaupt zurück sollten, vorbei an
Häuserblöcken mit schwarzen Fenstern, unter einem Mond, der aussah, als würde
er jetzt, da ich zu ihm hochschaute, als würde er in diesem Augenblick
abnehmen.
    Seit Tagen hatten wir nicht in die
Post geschaut, wir hatten es vergessen, so wie wir alles vergessen hatten, weil
wir an nichts als an Karls Steinwurf hatten denken können, an eine ferne
Winternacht, die vergessen gewesen war und deren Eis und Schnee Karl
zurückgeholt hatte, um

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