Bank, Zsuzsa
lebte und wann sie
dorthin fahren würde, und jeder Tag, an dem es nicht geschah, kam mir seltsam
vor, als säßen wir in einem Wartezimmer, zu dem man die Türen geschlossen und
uns dahinter vergessen hatte.
Drei Monate nachdem wir Kirchblüt
verlassen hatten, gab die große Hitze nach, und ich glaubte nicht mehr zu verbrennen,
wenn wir zum Ufer liefen, um den Bus zur Hochschule zu nehmen. An einem Montag
war ich mit Aja zum Postamt gegangen und hatte das Gespräch am Schalter angemeldet,
damit Aja nach Libelles Anschrift fragen konnte, und als Zigi sich geweigert
hatte, hatte Aja gebrüllt, er könne wenigstens das für sie tun. Die Anschrift
hatte sie dann auf eine der Karten geschrieben, die sie zum Lernen brauchte,
und sie hielt sie in der Hand, als sie nach Termini fuhr, um nach Verbindungen
zu fragen und von dem Geld, das Évi unter ihr Kopfkissen gelegt hatte, ihre
Zugfahrt nach Frankreich zu bezahlen. Als sie die Filmspule einpackte, die in
der Küche geblieben war, weil keiner von uns gewusst hatte, wohin damit, sagte
sie, sie bringe sie Libelle zurück, sie habe genug davon gesehen, Karl könne
auch das Gerät verkaufen, sie wolle keine Bilder mehr über die Küchenwand
flackern lassen. Aber den Zettel, der mit dem Film gekommen war, steckte sie in
ihren Taschenkalender, zwischen Postkarten, die sie nie abgeschickt hatte, und
kleinen Meldungen aus Wissenschaft und Medizin, die sie aus Zeitungen gerissen
und mit rotem Stift angestrichen hatte. Karl und ich hatten sie begleiten
wollen, aber Aja hatte es nicht erlaubt. Sie ging an einem kühlen
Septembermorgen, der die Straßen in ein erstes müdes Herbstlicht tauchte. Am
Abend hatte sie am Küchenfenster die blassroten Dächer mit ihren Blicken
abgetastet, als zähle sie die Ziegel und brauche die richtige Zahl, um
aufbrechen zu können. Sie hatte ihre Sachen still in ihre schwarze Tasche mit
den Reißverschlüssen gepackt, die sie jetzt über die Schulter warf, um nach
einer ihrer kurzen, festen Umarmungen schnell zu gehen, als könnten wir sie
noch aufhalten wollen. Wir schauten zur Straße hinunter und warteten, bis Aja
zu sehen war, bis sie auftauchte in ihrem leichten grünen Mantel, mit ihrem
gelben Hut, den sie mit einer Hand festhielt, damit ein Windstoß ihn nicht
davontrug. In diesem Augenblick sah sie aus wie Évi, nicht wie Zigi oder Libelle,
wie sie ihre schmalen Füße mit den gleichen schnellen Schritten aufsetzte und
den Hut mit den drei Fingern ihrer rechten Hand festhielt, die sie schon lange
nicht mehr versteckte. Ich war sicher, Karl dachte es auch, so wie er Aja
nachsah, musste er das Gleiche denken.
Wir blieben zurück mit dem
Geräusch von Motorsägen, mit denen sie anfingen, die Bäume zu schneiden, als beginne
der Herbst dieses Jahr früher, als würde er jetzt schon eingeläutet, mit
gestutzten Ästen, die aussahen, als könnten sie nie mehr Blätter tragen. Etwas
ging zu Ende, so viel konnten wir spüren, etwas machte sich los und stahl sich
fort. Es war, als fielen nicht nur Äste und Zweige, es war, als falle die ganze
Stadt auseinander, als lösten sich Steine und Ziegel, als bröckelten Mauern und
Dächer, als stürzten die Säulen um und könnten die Tempel nicht länger tragen,
als ließe Ajas Abschied die ganze ewige Stadt zittern und beben. Das Wetter
wurde schlecht, und Karl und ich schauten auf die Regenfäden, wie es die Kinder
in Rom tun, wenn sie zum ersten Mal Schnee sehen. Der Regen schien nur für uns
zu fallen, uns zuliebe wusch er mehr weg als nur den Staub, den die Motorsägen
hoch zu unseren Fenstern gewirbelt hatten. Meine Mutter rief an und sagte, der
Postbote habe Évi ein Telegramm gebracht, in das Zigi habe schreiben lassen:
Aja hat nach Libelles Anschrift gefragt, und obwohl ich das schon gewusst
hatte, ahnte ich jetzt erst, Aja würde nicht mehr nach Rom zurückkehren. Sie
hatte Rom nur als Umweg gebraucht, sie hatte nicht von Kirchblüt aufbrechen
können, sie hatte Kirchblüt und Libelle nicht verbinden wollen, auch nicht mit
einer Reise im Zug, auf der sie vielleicht fünfmal hätte umsteigen müssen. Ohne
Aja aber würde ich nicht bleiben wollen, und ich stellte mir vor, meine
Wörterbücher auf dem Küchentisch liegenzulassen, in Termini den Zug zu nehmen
und ihr zu folgen. Wir waren nach Rom gekommen, um Dinge zu erfahren, die wir
nicht hatten wissen wollen und die jetzt über uns bestimmten, als gebe es
nichts anderes mehr, als habe es davor nichts gegeben und als könne es auch
danach nichts
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