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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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groß
geblieben und stünden nun mit scharfen Kanten hervor. Meine Mutter fuhr den
Wagen auf die Straße, Aja schloss das Tor und ging ohne ein Wort an Évi vorbei,
und obwohl ich wusste, wie schlecht Aja im Verzeihen war, fragte ich mich, wie
es ihr gelingen konnte, so an Évi vorbeizugehen. Ich kurbelte das Fenster nach
unten und streckte meinen Arm hinaus, damit Évi meine Hand fassen konnte. Sie
sagte: Verliert euch nicht aus den Augen, nur so viel, und ein bisschen klang
es wie unser: Bleib fern von offenen Fenstern, als habe sie in diesen Julitagen
darüber nachgedacht, was sie Aja würde mit auf den Weg geben wollen, und sich
diese sechs Worte zurechtgelegt und aufgehoben für den Abschied, um Aja so zu
sagen, es war ein Fehler, Zigi jemals aus den Augen gelassen zu haben, als sei
das alles, als könne es nur darum gehen, sich nicht aus den Augen zu lassen.
    Ich hatte keine andere
Bahnverbindung gefunden, am Abend mussten wir uns ein Zimmer an der Strecke nehmen,
nicht weit von Flüelen, um am nächsten Morgen erst weiterzufahren, auch wenn
Aja es kaum aushielt, noch einmal zu schlafen, bis die Berge endlich hinter uns
liegen und wir den Süden sehen würden. Früher waren wir die Nacht immer
durchgefahren, nie wäre uns eingefallen, die Reise zu verzögern. Aber diesmal
ließen wir etwas anderes zurück als Kirchblüt, etwas hatte sich in unser
Leben gedrängt und versuchte, die Wege zu verschlingen, über die wir bislang
gegangen waren. Vielleicht nahmen wir deshalb zum ersten Mal ein Zimmer mit
Blick auf den weißen Kirchturm und den tiefgrünen See dahinter, der zu kalt
war, um darin zu baden. Wir wachten auf vom Sechs-Uhr-Läuten, saßen beim
Frühstück allein vor Gardinen, die den Blick auf den See nicht zuließen, und
weil Aja keinen Hunger hatte, nicht nur wegen des Südfiebers, das sie auf
diesem Weg jedes Mal überfiel, steckte sie für später Äpfel aus einer
Holzschale ein, über der geschrieben stand, bitte kein Obst mitnehmen. Évi
hatte mir ein Rätsel aufgegeben. Auf dem ganzen Weg nach Rom fragte ich mich,
wieso es ein Fehler gewesen sein konnte, Zigi damals aus den Augen gelassen zu
haben. Aja wäre nicht geboren worden, auch wenn sie diesen Gedanken nicht mögen
würde, genauso wie Karl es nie gemocht hatte, wenn wir gesagt hatten, wäre dein
Bruder nicht verschwunden, du wärest nie nach Kirchblüt gekommen, und unser
Dreieck hätte es nie gegeben.
    Ich ahnte, wir würden nicht mehr
lange in Rom bleiben, diesen letzten heißen Sommer, vielleicht einen letzten
Herbst und Winter noch. Ich konnte es schon an den Schritten ablesen, als Aja
in Termini aus dem Zug stieg und zu den orangefarbenen Bussen ging, später die
Treppen hoch zu unserer Wohnung, daran, wie sie die Hausmeisterin grüßte und
dann Karl, als sei sie an niemanden, an nichts mehr gebunden, an keine
Menschen und keine Dinge, als sei ihre Welt vor wenigen Wochen
auseinandergefallen und habe Aja an einen fremden Ort verbannt, der zu nichts
mehr passen und sich zu nichts mehr fügen wollte, weit entfernt von Kirchblüt
und weit entfernt von Rom. Karl trug ein schmales Bärtchen am Kinn, das er
sich hatte stehen lassen, als er ohne uns gewesen war und etwas mit seinem
Gesicht habe anstellen müssen, damit er sich, wie er sagte, morgens im Spiegel
ansehen könne. Meine Wörterbücher lagen auf dem Küchentisch, Karl hatte sie
nicht weggeräumt, aber mir war die Lust vergangen, sie anzufassen und
aufzuschlagen und jedes Mal daran denken zu müssen, dass sie unter dem
Projektor gelegen hatten, damit wir Libelles Gesicht, ihre gespreizten Finger,
damit wir ihre Sprünge und Drehungen hatten sehen können. Aja machte sich
nicht mehr zum Krankenhaus auf, auch wenn sie dort sofort hätte wieder
anfangen können. Sie hatte sich mit einer tiefen Verbeugung verabschiedet,
nach kleinen langsamen Schritten über das Band, das wir nicht weit über dem
Boden zwischen Heizungsrohren gespannt hatten, und konnte jetzt nicht
zurückkehren, als sei es nicht geschehen. Sie versank hinter ihren Büchern, als
lerne sie für die nächsten Prüfungen und könne Karl und mich täuschen, als könnten
wir wirklich noch glauben, Aja setze sich wieder an ihren Schreibtisch, und
alles gehe mit uns weiter wie früher. Dass sich etwas in ihrem Kopf
zusammenbraute, konnte ich sehen, wenn sie die Stirn in Falten legte, von ihren
Büchern aufschaute und sicher keine Zeile darin gelesen hatte. Ich wartete nur
noch auf den Tag, an dem sie uns sagen würde, wo Libelle

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