Bank, Zsuzsa
weiter auf meinem Kindersofa und sehe nicht
aus, als würde sie nach Rom zurückwollen. Sie fragte, ob Évi den Abend nicht
bei ihr verbringen wolle, aber Évi schüttelte dann jedes Mal den Kopf und blieb
an ihrem schiefen Tisch, unter dem Regal mit dem Blechkästchen für Karls
Bruder, als habe sie eine Strafe abzusitzen und dürfe Haus und Garten nicht
verlassen, sich nicht aufmachen nach Kirchblüt, über die schmalen Wege zu unserem
Haus, und nicht an unsere Tür klopfen, hinter der Aja sich verschanzt hatte wie
in einer Festung.
Ich rief Karl an und ließ mich von
seiner Stimme auffangen. Ich stellte mir vor, wie er in unserer Küche in Rom
das lange Kabel des Telefons zwischen den Fingern drehte, auf dem Vorsprung am
Fenster, wie er die Füße auf die Brüstung gelegt hatte, vor ihm die blassroten
Ziegel der Dächer, die sich zum Fluss hinabbeugten. Ich fragte nach seinen
Händen, nach den Schnitten und Wunden, und als er antwortete, klang es, als
habe ich ihn an etwas erinnert, das sein Gedächtnis schon verlassen hatte, die
Splitter und Scherben von Weihnachtskugeln, die ich auf dem Pflaster
zusammengekehrt hatte, die Verbände, die man Karl in der Notaufnahme angelegt
hatte, unsere Fahrt nach Ostia hinaus, als habe es all das nicht gegeben, als
sei, was ihn und Aja verbunden und getrennt hatte, unwichtig und klein
geworden, als habe Libelle es uns vergessen lassen, seit sie in Schwarzweiß
über den Putz unserer Küchenwand gesprungen war. Ich erzählte Karl von dem
Staub, in den meine Mutter mit flachen Schuhen Striche und Vierecke und ein
Kreuz an die Stelle gezeichnet hatte, wo Libelles Waggon einmal gestanden hatte
und Aja geboren worden war. Karl hörte nicht auf, sich den Vorwurf zu machen,
den kurzen Film nicht vorher angesehen und zerstört, Aja nicht angelogen zu
haben, es gebe schon lange keine solchen Projektoren mehr, nicht auf den
Flohmärkten und nicht in den Läden, die er mit seinem Roller abgefahren war. Er
fragte, wie hoch in Kirchblüt der Weizen stehe, wie hoch der Mais vor Évis
Garten, ob der Klatschmohn blühe, der Klee, den er vor Jahren am Zaun gesät
hatte, ob der Bachlauf Wasser führe, die Platanen auf dem großen Platz ihr Dach
schon über uns ausgebreitet hätten, und ich sagte zu allem ja. Ja, Weizen und
Mais stehen hoch, ja, der Klatschmohn blüht, und wie er blüht, wenn du ihn
sehen könntest, ja, im Bach fließt Wasser, und ja, wir sitzen auf dem großen
Platz unter einem Dach aus Blättern. Ich sagte nicht, aber es ist nicht wie
früher, weil nichts wie früher ist, weil sich alles gedreht und verschoben hat.
Wir laufen durch Kirchblüt, und alles ist anders, wir haben es verloren, so wie
wir die Orte unserer Kindheit verlieren, zum ersten Mal, wenn wir keine Kinder
mehr sind, und später noch einmal, wenn wir als Erwachsene zurückkehren und uns
wundern, wie sie wirklich aussehen.
Das Wetter schlug um, und der
Juliregen brachte Kälte. Ich nahm zwei Strickjacken aus dem Schrank, und als
müsse ich sie darauf stoßen, als könne sie nicht von selbst daraufkommen,
sagte ich zu Aja, ich hätte in Kirchblüt keine Zeit mehr zu vergeuden, wenn sie
wolle, könne sie mich begleiten. Wir fuhren samstags, als die Stände auf dem
Markt schon aufgebaut und die Markisen aufgezogen waren. Meine Mutter hatte
darauf bestanden, uns mit dem Wagen nach Heidelberg zu bringen, und als wir
mit den Taschen im Hof standen, sahen wir Évi unter Kastanien die Straße hochlaufen,
als sei sie unterwegs zum Fotoladen, so wie jeden Morgen, wenn sie sich früh aufmachte,
um rechtzeitig das Glöckchen vor die Tür zu hängen, die gelbe Kiste hineinzutragen,
die Umschläge mit den Bildern zu ordnen und in die Fächer mit den großen
Buchstaben zu stecken. Sie blieb am Tor stehen, ohne es zu öffnen, und Aja
drehte sich weg und richtete die Taschen im Kofferraum, als müsse sie ausgerechnet
jetzt nachschauen, ob alles war, wo es sein sollte. Évi sagte, sie habe uns
einmal noch sehen wollen, bevor wir abfuhren, nachdem Aja nicht ein einziges
Mal mehr zu ihr gekommen sei, aber es klang kein Vorwurf und kein schiefer Ton
mit, und weil Aja sich nicht rührte, schob ich das Tor auf, umarmte Évi und
flüsterte, lass sie, lass sie mit mir fahren und sich beruhigen. Évi kam mir
schmal vor, als sei sie geschrumpft, seit sie sich auf diesem großen leeren
Platz alles in Erinnerung gerufen hatte, das Aja hatte wissen müssen, als
habe sich alles an ihr zusammengezogen, als seien nur die Knochen gleich
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