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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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mehr geben. Ich malte mir aus, wie es sein würde, wenn wir
zurückgingen, wenn wir alle nach Kirchblüt zurückkehrten, unsere letzten
Prüfungen ablegten und anfingen zu arbeiten, wenn wir beginnen würden, uns am
Leben der Erwachsenen zu versuchen und uns darin zurechtzufinden, so wie unsere
Mütter einmal damit angefangen hatten, sich daran zu versuchen und sich darin
zurechtzufinden.
    Aja rief nach Tagen an, und ich
schimpfte, weil sie uns keine Anschrift, keine Nummer hinterlassen hatte, unter
der wir sie hätten erreichen können. Évi ist fast verrückt geworden, sagte ich,
obwohl ich gar nicht mit Évi gesprochen hatte, und als ich glaubte, Aja habe am
anderen Ende der Leitung mit den Schultern gezuckt, fragte ich lauter: Hast du
etwa mit den Schultern gezuckt? Ich war wütend auf Aja, sie hatte mich
zurückgelassen und abgehängt wie einen Waggon, der nicht mitfahren sollte, sie
hatte Karl und mich verwiesen auf die fernen Plätze, damit wir sie nicht
störten bei dem, was sie in diesen Tagen, weit genug entfernt von uns, zu tun
hatte. Ich fragte, ob sie sich schon getroffen hätten, und vermied es, den
Namen Libelle zu sagen, aus Angst, Aja damit zu bedrängen, mit einem Namen, den
Zigi sich vor Jahren ausgedacht hatte, als sei nicht alles schon ausgesprochen,
als könne Aja noch ein Geheimnis haben und es behalten wollen. Aja erzählte,
wie sie vor dem Haus, auf der anderen Seite der Straße gewartet hatte,
versteckt und geschützt vom lauten Verkehr, abgeschnitten von den Bussen und
Wagen, die an diesem Vormittag vorbeigefahren waren. Sie hatte Libelle sofort
erkannt, als sie aus der Haustür gekommen war, den Schlüssel in der Tasche
verstaut hatte, zwei Schritte gegangen und stehen geblieben war, als sie Aja
erblickt hatte. Sie hatte mit einer Hand ihre dunkle Sonnenbrille abgezogen
und mit der anderen ihre Tasche wie einen Schild vor die Brust gehalten. Aja
sagte, ein paar Sekunden lang sei nichts geschehen, selbst der Verkehr sei
stillgestanden, als hätten die Busse und Wagen angehalten, damit Libelle und
Aja sich sehen konnten, als habe jeder gewusst, hier begegneten sich zwei, und
niemand durfte sie stören. Libelle hatte die flache Hand gehoben, um den
Fahrern ein Zeichen zu geben, hatte die Straße langsam überquert und sich vor
Aja auf die Zehenspitzen gestellt, als wolle sie mit einer Übung beginnen. Sie
hatte Aja gefragt, ob sie im Juli geboren sei, ob sie am 31. Juli geboren sei,
1958, und Aja hatte genickt und versucht, dem Zittern in ihren Mundwinkeln
nicht nachzugeben. Auch Libelle hatte nur genickt, mehr hatte sie nicht zu
fragen gebraucht und im Augenblick auch nicht zu sagen gewusst, sie hatten dort
gestanden, während die Busse und Wagen weitergefahren waren und dafür gesorgt
hatten, die Stille zu zerstören, die gerade entstanden war, und dann sagte Aja:
Seri, diese kleine Frau mit den Libellenbeinchen soll meine Mutter sein, und
ich sagte, das ist sie nicht, Aja, Évi ist deine Mutter.
    Alle drei, vier Tage schickte Aja
nun eine Karte aus dem Süden Frankreichs, nicht weit vom Meer, nicht weit von
der italienischen Grenze, und wir bekamen eine Ahnung davon, wo Libelle lebte
und wo sich Aja gerade aufhielt, auch wenn sie kaum etwas über Libelle schrieb.
Obwohl sie Karl sicher nicht verziehen hatte, schrieb sie: Liebe Seri, lieber
Karl, und ließ ihre Karten wieder enden mit: Bleibt fern von offenen Fenstern.
Sie schrieb wenig und nutzte kaum den Platz, den sie gehabt hätte, genauso wie
sie aus Rom immer Postkarten an Évi geschickt hatte, vom Papst, vom Petersdom,
von Brunnen und Madonnen, weil sie Évi wie in einem Bilderbuch alles hatte
zeigen, aber nur wenig hatte dazu schreiben wollen. Sie schrieb, dass sie eine
Weile streunen wolle, so wie sie es früher einmal mit Évi und Zigi getan hatte,
dass sie in Flüssen gebadet und an ihren flachen Ufern Steine übers Wasser
geworfen, dass sie in Wäldern geschlafen und Ausschau nach Füchsen gehalten
habe. Uns reichten die wenigen Wörter, die kurzen Sätze, um zu spüren, dass
wir uns nicht sorgen mussten. Ajas Schrift ließ es so aussehen, etwas am
Schwung ihrer Buchstaben, wie sie sich nach oben streckten und nach vorne
beugten. Karl glaubte, Ajas Karten seien auch an Évi geschrieben, und er war
sicher, Aja würde sich über Wälder und Flüsse wieder nähern, jeden Schritt, den
sie jetzt von Évi weg tat, würde sie später wieder auf sie zugehen. Nach jeder
neuen Karte wählte er die Nummer des Fotoladens, frühmorgens, wenn

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