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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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gefunden. Selbst nach Kirchblüt
zurückzukehren war diesen Sommer anders gewesen. Der große Platz mit seinen Platanen
war kleiner geworden, sogar ihre dunkelgrünen Blätter waren kleiner geworden,
auch die Wege vom Fotoladen zum Haus mit den geschlossenen Läden, das wir noch
immer so nannten, obwohl Karl die Läden vor Jahren geöffnet hatte. Alles war
weggerückt und weggesprungen, die Fenster und Treppen unserer Schule, die
Vorgärten hinter den Hecken und Zäunen, selbst die schmalen Pfade zu den
Feldern. Jemand hatte die Häuser Kirchblüts mit einer Pinzette hinter Glas
gesetzt und darin verschlossen. Wie Pantheon und Engelsburg blieben sie in
einer dieser Glaskugeln, und damit Schnee auf ihre Dächer fiel, brauchten wir
sie nur umzudrehen und schütteln.
    Nebel lag über der Stadt, als Karl
nach Tagen zurückkehrte, und weil es in Rom nie Nebel gegeben hatte, seit wir
hier waren, sah es aus wie das Bild eines Traums, das der Morgen vergessen
hatte mitzunehmen. Karl stieg aus dem Zug, zog die Brille ab und kniff die
Augen zusammen, als er über den Bahnsteig schaute, winkte und lachte und
breitete die Arme aus, als er näher kam und ich die hell gebliebene Stelle über
seinem Kinn bemerkte, die aussah wie eine Wunde. Als ich darauf tippte, sagte
Karl, er habe sich den Bart abrasiert, in dem kleinen Bad, in dessen Wanne
einmal die Mäuse gesprungen waren, die Aja mit einem Eimer gefangen und
hinausgebracht hatte, weil weder Karl noch ich es hatten tun können. Termini,
sagte Karl, der von allen Carlo genannt wurde, seit wir zum ersten Mal hier
ausgestiegen waren, Termini habe ihn nie enttäuscht, sagte er, als wir uns umarmten,
und es klang, als habe alles andere ihn enttäuscht, nur nicht dieser Ort, mit
seinen endlos scheinenden Bahnsteigen unter seinem schwarzen Himmel aus
Drähten. Alles sei unverändert, sagte Karl, wenn der Zug einfahre, sei immer
alles gleich, es seien dieselben Läden vor denselben Fenstern, vielleicht sogar
dieselben Wäschestücke an den Leinen, die jedes Mal aussähen, als könnten sie
sich wie Flügel ausbreiten und mit den Häusern davonschweben.
    Wir nahmen nicht den Bus, sondern
streunten mit den Katzen über die Plätze, bis wir eine kleine Bar fanden und
mir unter Markisen dieses Lied einfiel, in dem sie im Regen wartet und er nicht
zur Verabredung kommt, während die Stadt sich zu drehen beginnt, die Straßen,
die Autos, die Menschen, die Auslagen. Als es Nacht wurde, summte ich es noch
immer, und Karl legte die Hände an seine Schläfen und sagte, das Klack-Klack
sei zurückgekehrt, wenn es an die Fenster geregnet habe, sei es mit jedem
Tropfen heftiger ins Haus gedrungen, in das Haus, von dem ich im Sommer vor
einem Jahr noch gedacht hatte, es könne keinen besseren Ort für uns geben.
Sein ewiger Begleiter gebe ihn nun doch nicht frei, sagte Karl, vielleicht sei
es bloß seine gerechte Strafe, und ich schüttelte den Kopf und erwiderte,
Strafen sind doch nur etwas für Ellen und Évi.
    Mitte Oktober zog Karl eine Karte
mit dem Freiburger Münster aus dem Briefkasten und legte sie in mein aufgeschlagenes
Wörterbuch, zwischen Maternitä und Mätria, Mutterschaft und Muttererde, oder
Mutterliebe und Heimat, als sei es kein Zufall, sondern als habe er nach zwei
Wörtern gesucht, die dazu passen könnten. Aja schrieb, sie werde nicht nach Rom
zurückkehren, sie werde nach Kirchblüt fahren, vielleicht bei meiner Mutter
bleiben, sie werde ihr Studium in Heidelberg beenden, die letzten Prüfungen
ablegen, alles sei besprochen und ausgemacht. Ich wunderte mich, weil meine
Mutter in keinem Brief etwas davon erwähnt hatte, aber ich hörte Ajas alten Ton
zwischen den Zeilen, ihren Ehrgeiz und Willen, etwas durchzusetzen, und mir lag
die Frage auf den Lippen, was dann aus uns werden sollte, aus Karl und mir, als
löse sich ohne Aja auch für Karl und mich alles auf, als verliere es sogleich
seinen Sinn, als sei schon allein der Gedanke verrückt, ohne Aja weiter in Rom
zu bleiben. Ich ging zum Fenster, hinaus auf den kleinen Vorsprung, den Aja
Terrasse nannte, und Rom sah mit einem Mal anders aus, nur noch wie jede andere
Stadt, in der ich die unzählbaren Töne von Braun nicht sehen wollte, und ich
hatte plötzlich keine Lust mehr, zur Nacht die Treppen hinabzusteigen und mich
zwischen den Mauern zu verlieren.
    Aja rief an einem lauen Abend im
November an, als Karl mit seinem Roller über die sieben Hügel fuhr, auf die Rom
gebaut war, was er jetzt häufig tat, weil er sie

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