Bank, Zsuzsa
ließ. Ich dachte,
dass sie mit neuen Lügen anfingen, sie webten ein neues Netz, auch wenn es
diesmal anders war und Karls Vater nur seine Schrift änderte, um Bleche und
Rührkuchen zu bestellen, die Évi am leichtesten und schnellsten backen konnte.
Wenn er den Kuchen in den Aufsatz vor seinem Lenker geschoben habe, fahre er
hinter der Brücke über den Klatschmohn quer über den großen Platz, wo jeder ihn
sehen könne, sagte meine Mutter, und weiter durch ein paar Straßen, damit
niemandem auffalle, dass er den Kuchen zu sich nach Hause brachte, in der Küche
abstellte, auf dem Tisch und den Ablagen ringsum, auf der Fensterbank und dem
Büffet, als könne doch jemand an die Tür klopfen und etwas kaufen wollen. Tags
darauf gebe er Évi das Geld dafür, und sie lasse es in ihrem schiefhängenden
Schrank in einer abgeschlagenen Tasse verschwinden, und sobald sie glaube,
genug gesammelt zu haben, stecke sie es für Aja in ein Kuvert, um es ihr zu geben,
falls sie doch einmal wieder zu ihr kommen sollte. Karls Vater hatte meiner
Mutter verboten, ihn zu verraten, und solange Évi nichts merkte, solange ihr
nichts auffiel, wollte er es weiter so halten, es sei der kleinste Gefallen,
den er Évi tun könne, Kuchen unter falschem Namen bei ihr zu bestellen, und ich
fragte mich, warum es nicht Karls Vater hatte sein können, warum Évi in all den
Jahren an Zigi festgehalten hatte, in denen er sie im Herbst besucht und nach
Wochen an der Haltestelle zurückgelassen hatte.
Aja kam samstags nach Kirchblüt.
Ihr Haar trug sie wieder kürzer, die Spitzen waren vom langen Sommer noch
gebleicht. Sie umarmte mich fest und hielt die ganze Zeit meine Hände, auch
wenn sie nicht viel sagen wollte über die Wochen ohne Karl und mich, über ihre
Nächte in Wäldern, an Flüssen, und ich ließ sie, ich ließ ihr diese Geheimnisse,
es war etwas zwischen Libelle, Évi und Aja, für mich war kein Platz darin. Aja
hatte aufgehört, Évi Mutter zu nennen, und es klang sonderbar, wenn sie immer
nur Évi sagte, wenn sie von ihr sprach, als müsse sie ständig richtigstellen,
was alle ein Vierteljahrhundert lang falsch gesehen hatten. Wenn jemand
fragte: Wer ist Évi?, antwortete Aja: Die Frau, bei der ich aufgewachsen bin,
und es hatte etwas Bitteres, es klang noch immer fremd und feindselig, obwohl
Aja versuchte, es nicht so klingen zu lassen. Aber auch Libelle nannte sie
nicht Mutter, und so war es, als habe sie keine, als habe sie niemanden, zu dem
sie Mutter sagen konnte. Wir gingen hinter den Erdbeerfeldern zur Eisbahn, wo
man Aja begrüßte, als sei sie nie woanders gewesen, als habe sie Kirchblüt nie
verlassen, als laufe sie weiter jeden Abend ihre Bahnen, als gehe sie weiter
in ihrem schwarzen Anzug mit dem paillettenbesetzten Kragen, mit ihren roten
Schlittschuhen über der Schulter am Kassenhäuschen vorbei, um Pirouetten zu
drehen und Anlauf für ihre Sprünge zu nehmen. Vielleicht hatte Aja Kirchblüt
wirklich nie verlassen, vielleicht war es gar nicht möglich, Kirchblüt zu
verlassen, jedenfalls nicht für uns. Als sich am Abend die Bahn leerte und
unsere langen Schatten auf dem Eis lagen, musste ich an Karl denken, und es kam
mir vor, als betrüge ich ihn, weil nur ich mit Aja hier war. Mir fiel ein, wie
wir letzten Winter zu dritt dicht nebeneinander auf dem Eis gestanden hatten
und ich geglaubt hatte, mit uns würde sich alles zum Guten wenden, wir könnten
weiterleben wie bisher und müssten unser Dreieck nicht aufgeben, weil es
vieles aushielt, weil es dafür gemacht war, vieles auszuhalten.
Am Silvesterabend blieben wir in
Heidelberg auf Ajas Zimmer. Ihre Kisten waren angekommen, ein Fahrer hatte sie
die Treppen hochgetragen, und als wir sie öffneten, wehte uns die laue römische
Luft ins Gesicht. Karl hatte Ajas schwarze Steine hineingelegt und auf einen
Zettel geschrieben: Schicke Euch ein Stück Ostia nach Kirchblüt, schreibt mal,
wie es sich dort fühlt. Wir saßen vor der Dusche an dem kleinen Tisch, Aja
hatte Maishühnchen gebraten, und Ellen hatte am Morgen eine Kiste Winzersekt
gebracht und gesagt, vergesst nicht, auf Karl anzustoßen. Kurz vor Mitternacht
riefen wir an, um Karl ein glückliches neues Jahr zu wünschen, aber er hob
nicht ab, und wir machten uns auf und liefen durch die Straßen, in Schals und
Mützen und festen Winterschuhen, die auch zum Wandern gut waren, unter roten
und blauen Raketen, die zischend in den schwarzen Himmel gejagt wurden, an
Jakobs leerem Atelier und den nackten Akazien
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