Bank, Zsuzsa
vorbei, übers feuchtkalte
Pflaster zur Alten Brücke, auf die in diesem Herbst und Winter noch kein
Schnee gefallen war. Ich musste ans blassgrüne Wasser des Tibers denken, an die
Mückenschwärme, die sich dort ans Licht der Laternen klammerten, an die
leuchtend weißen Hände der Marmorengel, die für den Kreuzgang alles bereithielten.
Ich fragte Aja, ob sie Rom nicht vermisse, ob sie nicht wie ich zu oft an Rom
denken müsse, aber ich fragte nicht nach Rom, ich fragte nach Karl und wagte es
nur nicht auszusprechen. Als sie den Kopf schüttelte und aufs Wasser sah, an
seine Ufer, an denen Karl in vielen Nächten seinen Bruder gesucht hatte,
glaubte ich ihr, und ich konnte ahnen, nichts war ihr wichtiger, als in Évis
Nähe zu sein, auch wenn es ihr noch nicht gelingen wollte, das schiefhängende
Tor zu öffnen, die Steinchen dabei durch den Staub zu schieben, über die losen
Platten zu gehen und an Évis Tür zu klopfen.
Auf dieser Seite des Ozeans
Kurz nach Neujahr hörte Aja auf, Évi
zu meiden, und Évi schrieb es ihren Gebeten zu, die sie im Advent und über
Weihnachten Tag für Tag gesprochen hatte und die endlich erhört worden waren. Aja
hatte den Bus genommen, sie habe fliehen müssen, sagte sie, die Seemannslieder
am Fenster gegenüber seien laut geworden wie Sirenengesänge. Ich stand unter
meinem Regenschirm an der Haltestelle, wo Zigi jeden Herbst unter Kastanien Abschied
genommen hatte, unter denen auch meine Mutter zum Flughafen gefahren war, als
mein Vater ohne Koffer aus Rom zurückgekehrt war. Der Bus tauchte am Ende der
Straße auf, als er anhielt, öffneten sich die Türen mit einem Zischen und
ließen nur Aja heraus, als wolle sich an diesem verregneten Samstag außer ihr
niemand auf den Weg nach Kirchblüt machen. Aja hatte sich nicht angekündigt,
trotzdem hatte Évi auf sie gewartet, schon weil meine Mutter ihr jedes Mal,
wenn sie sich am großen Platz oder im Fotoladen getroffen hatten, gesagt
hatte, sie wird kommen, Évi, du wirst sehen, sie wird bald zu dir kommen, und
Seri wird sie begleiten, ich bin sicher, warte nur, es kann nicht mehr lange
dauern.
Wir gingen nicht über die kleine
Brücke, wo Évi uns vom Küchenfenster aus hätte sehen können, wir gingen über
die andere Seite, wo der Weg breiter war und Ellen und meine Mutter mit dem
Wagen fahren konnten. Jetzt, da sich Aja auf ihr altes Haus zubewegte, da sie
bereit war, das schiefhängende Tor zu heben, die wenigen Schritte zu gehen, um
an Évis Tür zu klopfen, musste Évi uns gehört haben, obwohl wir leise
gesprochen und auf dem letzten Stück geschwiegen hatten, als habe uns der
Blick auf schlammigen Boden die Sprache genommen. Sie löste schon das Fliegengitter,
das sie im Herbst nicht wie sonst abgenommen hatte, stieß die Tür auf, rief
unsere Namen und winkte uns herein, damit wir schnell die Schuhe auszogen, die
nassen Mäntel an die Haken hängten und uns an den Tisch setzten, den sie jeden
Tag für uns gedeckt hatte. Sie strich über unsere Wangen, unsere Haare und
fasste unsere Hände, sie redete lauter und schneller als sonst, und ein helles
Rot setzte sich auf ihre Wangen, während sie an der Tischdecke zupfte und sie
viele Male glattzog, Kaffee aufbrühte und vom Kuchen schnitt, den sie am Morgen
gebacken hatte. Wir sollten erzählen, und wie immer wollte sie alles wissen,
was mit uns zu tun hatte, wie wir unsere Tage verbrachten, obwohl nichts wie
früher war, obwohl sich alles geändert hatte, seit das Kuvert mit den roten
Buchstaben im Briefkasten gelegen hatte, seit wir Libelle hatten in Schwarzweiß
über unsere Wand tanzen sehen, seit wir eine Nacht auf dem staubigen Platz
verbracht hatten, auf dem Aja zur Welt gekommen war, seit Aja mir entwischt
war und mich mit Postkarten vertröstet hatte, seit sie die Jahre und Tage zusammengezählt
hatte, in denen Zigi und Évi nie den richtigen Augenblick gefunden hatten.
Aja redete und ließ Évi ihre
wirren Strähnen, die noch vom Sommer gebleichten Haare berühren, ließ sie eine
Hand auf den Ärmel ihrer Strickjacke legen, wo sich die braunen Fäden lösten,
ließ sie Kaffee nachschenken und Kuchen schneiden, der an diesem Morgen
schmeckte wie immer und an dem nichts daran erinnerte, dass Karls Vater die
Bestellzettel ausfüllte und die Bleche und Teller mit Torten in seiner Küche
lagerte. An Ajas Blick konnte ich erkennen, es fiel ihr nicht schwer, sie
brauchte sich nicht zu überwinden, an Évis Tisch zu sitzen und Évis Stimme zu
hören, und fast
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