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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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Hänge, meine Mutter in der Mitte, als hätten Évi
und Ellen Angst, ihre Beine könnten plötzlich doch nachgeben. Bis zur Seilfähre
waren sie gekommen, und weil meine Mutter nicht zur Schiffsterrasse hatte gehen
wollen, hatten sie sich ins Gras gesetzt und eine Weile Steine in die Fluten
geworfen.
    Sie habe die Sonntage nicht
zurückgezählt, sagte meine Mutter, auch die Jahre nicht, aber als Ellen sie am
Abend abgesetzt hatte, habe sie angefangen, die Bücherwand im Wohnzimmer
abzubauen, die sie seit damals Tag für Tag von ihrem roten Sofa gesehen habe.
Sie hatte die Bücher meines Vaters abgeräumt, von denen sie in all den Jahren
nicht eines weggenommen hatte, hatte Buch für Buch in große Kisten mit der
Aufschrift Hannes Bartfink Sped. gelegt, damit sie nicht länger an die Decke
reichten und jeder Band an meinen Vater erinnerte. Sie habe sich nicht beeilt,
nicht so, wie sie sich damals mit seinen Kleidern und Hemden hatte beeilen
müssen, sie habe sich Zeit gelassen, und mit jedem Buch, das sie abgeräumt und
in eine Kiste gelegt hatte, habe sie noch besser atmen können. Die Wand hatte
sie nicht streichen lassen, sondern zum ersten Mal selbst gestrichen, sie hatte
sichergehen wollen, jede Spur und jeder Schatten, den die Bücher auf die Wand
gezeichnet hatten, würde auch wirklich übermalt. Ellen hatte sie zwei Tage
lang nach den Anfangsbuchstaben ihrer Verfasser geordnet, und an einem
Samstag, an dem Évi nicht hatte arbeiten müssen, hatten sie die Bände
verkauft, auf Tapeziertischen, die Karls Vater im Hof aufgestellt hatte. Évi
habe Blechkuchen gebacken und Ellen Winzersekt in den Eisschrank gelegt, damit
sie am Abend anstoßen konnten, als fast alles verkauft gewesen war, Karls Vater
eine Handvoll Markstücke auf den Teller gelegt und auch die restlichen Bücher
noch mitgenommen habe. Mir kam es verrückt vor, unsere Mütter kamen mir
verrückt vor, als seien Évi und Ellen und meine Mutter verrückt geworden, als
seien sie durchgedreht, als habe etwas ihren Verstand geraubt, aber auch mein
eigener Ton kam mir verrückt vor, mein lauter, vergifteter Ton, weil ich nicht
gefragt worden war, bevor meine Mutter unsere Bücher über Kirchblüt verteilt
und zugelassen hatte, dass die Seiten, durch die mein Vater einmal geblättert,
und die Stoffbändchen, die er wie Lesezeichen zwischen den Fingern gehalten
hatte, jetzt von fremden Händen berührt wurden, auf fremden Tischen lagen und
in den Straßen rund um den großen Platz in fremden Bücherschränken standen.
    Meine Mutter sagte, sie gebe das
Geld, das sie für die Bücher bekommen habe, heimlich in Évis Tassen, jede Woche
ein bisschen, und weil es nur Münzen seien, glaube sie, Évi würde nichts davon
merken. Évi sei komisch in letzter Zeit, ob Aja deshalb zurückgekommen sei,
fragte sie mich, ausgerechnet mich, wo sie doch Aja jeden Tag hätte fragen
können, als sie vor Wochen ihre Tasche in unserer Diele abgestellt, in unserem
Gästebett geschlafen und jeden Morgen mit meiner Mutter am Küchentisch
gesessen hatte, bevor sie in Heidelberg ein Zimmer gefunden hatte, zu dessen
Fenster manchmal jemand Seemannslieder schickte, als habe Libelle ihn aus der
Ferne dazu angewiesen. Das mit Évi habe schon begonnen, nachdem uns eingefallen
sei, in Rom zu leben, und wir zum ersten Mal um Mitternacht den Zug nach Süden
genommen hatten, sagte meine Mutter. Sie und Ellen hätten es aber nie ernst
genommen, wenn Évi vergessen hatte, an etwas zu denken, das ausgemacht gewesen
war, wenn sie sich nicht hatte an Dinge erinnern können, wenn sie an
Wintertagen keine Strümpfe getragen und am Nachmittag, wenn Ellen vorbeigeschaut
hatte, noch im Nachthemd gewesen, wenn sie spätabends im Fotoladen geblieben
war, weil sie vergessen hatte, nach Hause zu gehen, und zu Zeiten an der
Haltestelle stand, wenn kein Bus mehr fuhr. Aber seit einer Weile schmeckten Évis
Kuchen nicht mehr, Évi merke nicht, ob sie zu viel oder zu wenig Zucker
dazugebe, ob der Kakao, der Mandellikör zu bitter, ob die Eier noch gut und
die Gelatineblätter auch aufgelöst seien. Neulich habe jemand Streifen aus der
Schokosahne gefischt, und meine Mutter hatte sich für Évi entschuldigt und das
Geld zurückgegeben. Die Bestellungen seien zurückgegangen, und Karls Vater,
der noch immer Évis Kuchen mit dem Fahrrad ausfuhr, schreibe sie jetzt selbst
manchmal unter falschen Namen auf die kleinen Papiere, die meine Mutter einmal
entworfen hatte und in der Spedition stapelweise ausdrucken

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