Bank, Zsuzsa
und mich verteilte, wenn wir auf dem Schulhof aufeinander
zujagten. Karls Mutter zeigte die Kataloge jedem, der zufällig neben ihr stand,
sie schlug die Seiten auf, auf denen Karl zu sehen war, mit seinem nussbraunen
Haar, das in Wellen fiel, mit seinen vorspringenden spitzen Knien und seinem
einzigen Makel, dem blassen Fleck über seiner Wange, dort wo sich die Haut in
winzige Wellen legte und Karls Haar mit einem Mal blond wurde - eine
Verbrennung, die mit den Jahren verblasst und von der nur etwas zurückgeblieben
war, das wie die Spitze eines Dreiecks aussah.
Für Aja und mich war Karl ein
Straßenprinz und Schaukastenkönig, der nicht nach Kirchblüt gehörte, nicht in
die schmalen Straßen, die uns umgaben, nicht auf den großen Platz mit den
Platanen, die in den letzten Tagen des Winters gestutzt wurden, damit sie im
Sommer darauf ihr dichtes Dach über uns ausbreiteten. Eine Fügung, eine Laune
der Zeit, die Aja und ich nicht verstehen konnten, musste ihn in unsere Nähe
geworfen haben, jedenfalls war er das einzige Kind in Kirchblüt, das sich
selbst in einer Auslage ansehen konnte. Kurz nachdem Karl hierhergezogen war,
hatte man im Schuhladen eine Tafel neben sein Bild gestellt, auf der stand,
das ist Karl, er wohnt zwei Straßen weiter. Wenn wir nach der Schule über den
großen Platz liefen, schaute uns immer jemand nach, die Leute blieben stehen,
um auf Karl zu zeigen, alle sprachen von ihm, weil er jetzt in Sommerhosen und
Sonnenhut in der Zeitung zu sehen war, die man am Morgen für ein paar Groschen
mitnahm und an den Haltestellen, auf den Bänken im Schatten des Kirchturms und
im Cafe las, das seine Stühle hinausstellte, sobald das Wetter danach war. Aja
und ich konnten nichts finden an den Bildern, die Karl mit diesem strengen
Scheitel zeigten, den man kurz vor den Aufnahmen nachgezogen haben musste,
und wir wunderten uns über seine Mutter, die Karl ohne Pausenbrot zur Schule
schickte, aber dafür sorgte, dass er in einem Schaufenster zu sehen war.
Wenn Karl an den Nachmittagen
nicht zu Évi kam, wenn wir nicht zu dritt in unsere Linden kletterten und
Blätter zupften, zog Aja eines der wenigen Bücher aus dem kleinen Regal hinter
den Mänteln und trug es durch die Glastür an den Hasen und Hühnern vorbei in
den Garten. Évi fing an, vorzulesen, hielt aber gleich schon inne und legte das
Buch auf ihren Schoß, weil in ihrem Kopf zu vieles durcheinandergeraten war,
wie sie sagte, seit das blaue Licht der Polizeiwagen durch ihre Küche
geflackert war. Dass sie uns nie vorlas, sondern in dem Augenblick Geschichten
erfand, in dem sie die Seiten aufschlug und die Bilder sah, hatten wir erst
gemerkt, als wir selbst lesen konnten und Évis Finger folgten, der über die
Zeilen glitt, als reihe sie gerade die Buchstaben aneinander. Während sie sonst
nach Worten oft suchen musste, erfand sie die Geschichten für uns fast
schwerelos, sie brauchte nur die Seiten umzublättern, gab Menschen und Tieren
einen Namen und ein Leben, ließ sie sprechen und laufen und älter werden. Ihre
Geschichten gefielen uns besser als die in den Büchern, und Évi vergaß sie
nicht mehr, sie fügte sie leicht und schnell zusammen und erzählte sie uns
viele Male, mit dem gleichen Klang und Reim. Die Bilder nahm sie als Wegweiser,
sie waren Pfeile, die ihr die Richtung zeigten, in die sie denken sollte, um
eine Welt aus ihnen zu bauen. Solange wir nicht hatten lesen können, waren uns
nie Zweifel gekommen, ob die Geschichten so geschrieben standen, wie Évi sie
vortrug, und als wir schon wussten, dass Évi sie erfand, hüteten wir unser
Geheimnis, aus Angst, Évi würde damit aufhören wollen.
Obwohl Évi seine Briefe nicht
lesen konnte, hielt es Zigi nicht ab davon, an einem Ort, weit entfernt von
Kirchblüt, alles aufzuschreiben, von dem er glaubte, Évi solle es wissen. Es
schien ihm zu reichen, mit dem Bleistift über einen federleichten blauen Bogen
Papier zu fahren und seine schrägen Buchstaben daraufzusetzen, ihn zu falten
und in einen Umschlag zu stecken, zu wissen, Wochen später würde ihn der
Postbote ans schiefhängende Tor bringen, in Évis Hände legen, und sie hätte
etwas, das zuvor Zigi berührt hatte und das sie mit ihm verbinden würde. Wenn Évi
die Briefe auf dem kleinen Tisch neben dem Fliegengitter liegen ließ und ab
und an mit den Fingern darüberglitt, schien es sie nicht zu stören, fern von
den Dingen zu sein, die Zigi hinter einem weiten Meer umgaben. Wenn sie den
Bogen aus dem Kuvert zog, wenn
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