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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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sie ihn auf dem schiefen Küchentisch mit beiden
Händen glattstrich, dachte sie sich vielleicht aus, was sie gern darin gelesen hätte
und was so dort hätte stehen können. Erst später wussten wir, dass Évi nach den
drei Buchstaben suchte, die sie erkennen konnte, wenn sie aufeinanderfolgten
und ihren Namen ergaben, weil es einen Unterschied machte, ob er zweimal, ob er
dreimal auftauchte, und weil Évi jede Nennung ihres Namens wie einen Beweis
für etwas nahm. Den Tag seiner Ankunft hatte Zigi groß in die Mitte gesetzt,
anders als bei seinen winzigen Zeichnungen, die den Rest des Papiers weiß
ließen. Évi nahm den Kalender von der Wand und blätterte langsam die Seiten um,
bis sie auf den Monat stieß, den Zigi aufgeschrieben hatte, zählte den Tag
langsam an den Fingern ab und kreiste ihn mit Ajas rotem Buntstift ein. Hatte
Zigi Geld geschickt, legte Évi die Scheine neben eine Liste aus Zahlen, mit der
sie rechnete, ein Labyrinth aus Strichen und Kreisen, das sie hinter den
Küchenschrank geklemmt hatte, damit Aja es nicht finden würde. Nur wenn sie
sich ungesehen glaubte, weil wir draußen auf einem Bein über die losen Platten
auf und ab sprangen, zog sie die Liste heraus und fügte Striche und Kreise
zusammen, bis sie auf eine Summe kam, von der sie wusste, für die nächsten
Wochen, vielleicht sogar für die nächsten Monate würde es reichen.
    Auch wenn wir Karl schon von
Bildern gekannt hatten, auf denen er Stiefel oder Sandalen trug, die andere
kaufen sollten, hatten Aja und ich nicht geahnt, wer er war und warum er nach
Kirchblüt gezogen war, in ein Haus, das nur zwei Straßen entfernt vom
Schuhladen lag. Den Sommer über hatten wir ihn mit dem gleichen unbefangenen
und offenen Blick angeschaut, den wir für jeden hatten. Wir wussten, er lebte
mit seiner Mutter in einem Haus, das wir von der Straße aus nicht sehen
konnten, seine Fenster nicht, nicht einmal sein Dach, weil es sich hinter einer
hohen Hecke verbarg, die so dicht wuchs, dass sie keinen Blick zuließ, und die
nicht zurückgeschnitten, nur gestutzt wurde, von jemandem, den Karls Mutter
öfter kommen ließ, als nötig war. Es gab kaum Familien, die so lebten wie Karl
mit seiner, ein Kind beim Vater, das andere bei der Mutter, aber Aja und ich
hatten uns trotzdem nichts dabei gedacht. Den ganzen Sommer über waren wir mit
Karl ins Wasser gesprungen, an hellen Tagen in sein trübes Grün und hatten
Libellen verscheucht, ohne eine Ahnung zu haben, wer seine Familie war und was
ihn zu uns gespült hatte, welche Wendung der Zeit, die wir von den Uhren
abzulesen lernten und die uns nichts bedeutete. Wir waren mit Karl unter den
Steg geschwommen, hatten uns festgehalten am nassen Holz, waren abgetaucht,
wenn man nach uns gerufen hatte, und war kein Wetter zum Baden gewesen, waren
wir durch den Wald gestreunt, mit Ästen und Zweigen, die wir auflasen und
fortwarfen. Karl war mit uns gestürzt, hatte sich die Haut geschürft, die Hosen
aufgerissen, wir hatten uns im Weizen versteckt, als er grün war und eine
feine Spur auf unseren Kleidern ließ, hatten an den Abenden in unseren Linden
gesessen, bis Évi gerufen hatte, es sei genug, Karl und ich müssten nach
Hause. Nur wenn Aja und ich zum Abschied ein Rad geschlagen hatten, hatte Karl
am Zaun gestanden, die Hände tief in den Hosentaschen, als wolle er sich nicht
schmutzig machen, als habe er plötzlich Angst, Steinchen könnten an seinen
Fingern kleben.
    An all diesen Tagen, die sich so
leicht aneinandergereiht und verbunden hatten, hatten wir noch nicht gewusst,
dass es Karls Mutter gewesen war, die das Gesicht des verschwundenen Jungen
hatte auf Plakate drucken lassen, vom Fotohändler hinter dem großen Platz, der
kein Geld dafür hatte nehmen wollen. Wir hatten nicht gewusst, dass sie mit
ihrem hellen Wagen langsam durch die Straßen gefahren war, um die passenden
Fenster und Eingänge zu finden und ihre Plakate anzukleben, auf der Suche nach
ihrem Sohn, der an einem Frühlingsnachmittag verschwunden und nicht mehr nach
Hause gekommen war, nach dem die Polizei auf den Feldern vor Évis Garten
gesucht hatte, unter flackernden blauen Lichtern, mit Hunden und Stöcken, mit
denen man hinter den Absperrbändern über Wochen den Wald und die Wiesen
durchkämmt hatte. Wenn wir gehört hatten, eine Frau gehe mit einem Foto in der
Hand von Haus zu Haus, von Tür zu Tür, um zu fragen, ob jemand ihr Kind
gesehen habe, war uns nie der Gedanke gekommen, es könne Karls Mutter sein,
Karls Mutter, an

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