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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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der alles, selbst ihr Wimpernschlag, langsam war. Erst als Aja
und ich anfingen, davon zu reden, als wir zu Karl sagten, du musst am Haus mit
den geschlossenen Läden vorbei, wenn wir uns treffen wollten und sagten, lasst
uns am Haus mit den geschlossenen Läden treffen, schüttelte Karl den Kopf. Er
wollte sich nicht mit uns davor treffen, und er wollte schon gar nicht, dass
wir es so nannten.
    Wenige Tage nachdem Karls Bruder
verschwunden war, waren Karl und seine Mutter nach Kirchblüt gezogen. Karls
Mutter hatte das erstbeste Haus genommen, das sie mieten konnte, ohne darauf zu
achten, wie groß oder klein es war und wie viel es kosten würde. Seitdem hatte
Karl in beiden Häusern ein Zimmer, und er brauchte nur den großen Platz zu überqueren,
um von einem zum anderen zu kommen. Er hatte seine Sachen packen müssen, die
wenigen, die ihm wichtig waren, hatte sie in eine Tasche aus braunem Leder
gesteckt, und an einem kühlen Morgen im Mai, der winzige Regentropfen auf die
Windschutzscheibe ihres Autos gesetzt hatte, waren sie losgefahren, mit einem
Fotoalbum neben Karl auf dem tiefroten Rücksitz und vielen losen Bildern von
seinem Bruder, nach denen die Polizei gefragt hatte. Seine Mutter hatte sie in
einen Kuvert in ihre Handtasche gesteckt, zu dickem, braunen Klebeband, das sie
jetzt immer bei sich trug, um jederzeit an einem Zaun oder Baum ein Plakat von
Karls Bruder aufhängen zu können, seinen Namen in großen schwarzen
Druckbuchstaben darunterzuschreiben, und die Frage, ob ihn jemand gesehen
habe. Sie waren hierhergezogen, als es hieß, Karls Vater sei neben den
Polizisten durch den Wald gelaufen, mit gleich schnellen und gleich langsamen
Schritten, bis sie es ihm verboten hätten, und dann habe er hinter den Absperrungen
gestanden, dort wo der Mais gerade zu wachsen anfing, im flackernden Blaulicht
der Wagen, die Hände wie einen Trichter an die Lippen gelegt und nach seinem
Sohn gerufen, Benedikt, Ben, Benedikt, bis ihn jemand weggebracht und nach
Hause gefahren habe, wo er wenig später, an einem leuchtenden Frühlingstag, der
schon den Sommer vorweggenommen hatte, alle Läden vor seinen Fenstern
geschlossen habe.
    In seinem Zimmer blieb alles so,
wie Karls Bruder es an jenem Morgen zurückgelassen hatte, an dem er in Eile
aufgebrochen war, weil sein Vater ihn gedrängt hatte. Die schwarzen Schuhe,
die er nicht hatte anziehen wollen, das Handtuch, das er auf den Teppich
geworfen hatte und das Aja und ich sehen konnten, die seltenen Male, wenn wir
Karl vom Haus mit den geschlossenen Läden abholten und im Flur an den Zimmern
vorbeigingen. Nur sein Bett hatte sein Vater gemacht, die Decke und das Kissen
mit dem Bezug aus blauen Streifen glattgezogen und die Hausschuhe aus rotem
Filz davorgestellt. Karl sagte, manchmal gehe sein Vater an den Schreibtisch
und bleibe eine Weile auf dem Drehstuhl sitzen, der viel zu schmal sei für ihn.
Er tue nichts weiter, als auf das Fenster zu schauen, seine geschlossenen
Läden, die leise, kaum hörbar zitterten, wenn vor dem Haus ein Auto übers alte
Pflaster fahre, als wolle er sich vornehmen, sie bald wieder zu öffnen. Dann
lege er sich vor das Bett, auf den bunten Webteppich mit den Fransen, neben die
schwarzen Schuhe und das Handtuch, mit dem sich Karls Bruder an diesem letzten
Morgen abgetrocknet hatte und dessen Feuchtigkeit längst verflogen war. Jedes
Mal, sagte Karl, bleibe sein Vater eine Weile mit weit ausgestreckten Armen auf
dem Boden liegen, als wolle er das Zimmer umarmen, bis Karl ihn irgendwann an
der Schulter fasse und sage, steh auf, du hast genug gelegen.
    Karls Bruder kam nicht zurück,
auch an einem anderen Tag nicht, den Aja und ich uns für Karl und seine Eltern
herbeisehnten, auch wenn seine Mutter immer wieder das Haus verließ und die
Einfahrt hinab zur Straße ging, weil sie hinter der Hecke Kinderstimmen gehört
und geglaubt hatte, ihr Sohn könne dabei sein, sie könne sein Gesicht unter den
anderen Gesichtern finden, sie müsse nur lang genug schauen. Später wussten
wir, in ihren Gedanken blieb Ben so alt wie an dem Tag, als er verschwunden
war, er sah weiter so aus wie auf den Bildern, die im ganzen Haus verteilt,
über den Treppen und in den langen Fluren an den Wänden hingen. Er blieb so
klein, und er trug dieselben Kleider wie am letzten Sonntag, den er bei ihr
verbracht hatte, knielange braune Hosen aus Leder, eine graue Strickjacke mit
Knöpfen aus Horn und Schuhe mit breiten roten Schnürsenkeln, die er an der
Seite zu binden

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