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Bank, Zsuzsa

Bank, Zsuzsa

Titel: Bank, Zsuzsa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die hellen Tage
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meinen
Vater, den ich kaum gekannt hatte und dem die anderen nie begegnet waren. Wir
hatten unsere Mütter, und trotz der kleinen und großen Wunden, die sie uns zufügten,
klammerten wir uns an sie und hielten uns fest an ihren Händen, als könnten wir
sonst umfallen, als könne uns etwas umstoßen, in dieser Zeit, in der wir
Abschied nahmen von den vielen Dingen, die unsere Kindheit eingerahmt hatten.
    Aja und ich verloren den Glauben
daran, Karls Bruder würde zurückkehren, er würde eines Tages an Évis Fenster
vorbeilaufen. Karls Unruhe und Scheu verflogen. Ein Schatten legte sich auf ihn
und mischte sich hinter den runden Gläsern seiner Brille in seinen Blick. Der
Tod hatte sich in unsere Nähe gedrängt, Karl und ich kannten ihn. Er schlich um
uns herum, er ließ uns nicht mehr aus den Augen, und unsere Aufgabe war es,
die Türen zu verriegeln und ihn nie wieder in unser Haus zu lassen.
Eistanz
     
    Ich habe mich oft gefragt, wann
wir begonnen haben, die zu werden, die wir als Erwachsene sind. Wer unsere
Mütter waren, bevor sie anfingen, so zu sein, wie wir sie kannten. Wie mein
Vater war, bevor er die Größe von Kisten berechnete und auf Ladeflächen
verteilte, wie er überhaupt war. Ob an einem bestimmten Tag unserer Kindheit
etwas in uns wusste, was wir später einmal sein wollten, ob vielleicht damals
schon etwas in Aja wusste, dass sie Ärztin werden würde, und sie deshalb so
früh anfing, die Dinge mit Hingabe und Genauigkeit zu tun, und wenn sie nur
mit ihren Fingern über Zäune streifte und es langsamer tat als wir, wenn sie
sich nie ekelte und wand, nicht vor den Käfern und Spinnen, die sie über ihre
Arme laufen ließ, nicht vor dem Blut auf ihrer Haut, wenn sie sich mit Évis
scharfem Küchenmesser oder draußen auf den Feldern am Weizen geschnitten hatte.
Vielleicht hatte es mit dem Tod zu tun, der Karl und mich belauerte, vielleicht
wusste sie deshalb schon früh, was sie werden wollte, früher jedenfalls, als
Karl und mir solche Gedanken überhaupt gekommen wären. Das Zirkusleben blieb
für Aja nur eine Idee, ein flackerndes buntes Bild, das ihr vertraut, aber fern
war, auch wenn sie die glitzernden Anzüge mit dem runden Ausschnitt, die Zigi
ihr jedes Jahr pünktlich zum Geburtstag schickte, so selbstverständlich trug,
dass ihr auf dem großen Platz deshalb kaum noch jemand nachschaute, auch wenn
sie klettern konnte wie ein Äffchen und leicht und zart blieb, mit kleinen
Händen und Füßen, auch später noch, als sie schon durch die Gänge des
Kreiskrankenhauses lief und jeder hätte glauben können, ein Mädchen habe sich
einen zu großen weißen Kittel übergestreift.
    Wenn Zigi jetzt bei ihnen war,
nahm Aja sich zurück. Sie wollte verbergen, wie sie sonst mit Évi umging. Auch
wenn Zigi nicht alles verstehen würde, würde es ihm nicht gefallen, wie sie Évis
Aussprache verbesserte, ihre Art zu reden nachäffte und die Lippen verzog, als
habe sie einen bitteren Geschmack im Mund. Sobald Zigi am schiefen Tisch saß,
auf dem die Kaffeetassen so schräg standen, dass Évi nie zu viel eingießen
konnte, verschonte Aja sie. Sie stieg in den Hochstuhl, den Karls Vater in
einem fernen Sommer an die Rosentapete gesetzt hatte, schaute dem Herbstregen
zu, wie er Blüten abschlug und Blätter auf den Rasen streute, und gönnte Évi
eine Pause von dem Gift, das sie sonst versprühte, eine Zeit der Waffenstille,
in der Évi nicht wachsam wie ein Jagdhund durch ihre eigene Küche gehen und
sich zwingen musste, wenig zu sprechen, aus Angst, Fehler in ihre Sätze zu
streuen, an denen sich Aja wie ein Tier an seiner Beute festbeißen würde.
    In den Wochen vor Weihnachten
hatte Zigi immer arbeiten müssen, nie hatten sie in dieser Zeit auf ihn
verzichten können, sagte er, wenn die Menschen zum Zirkus strömten und darauf
warteten, dass er rückwärts von seinem Trapez fallen und sich im letzten
Augenblick mit den Füßen festhalten würde. Aber jetzt schien es ihm zum ersten
Mal gleich zu sein, im Jahr nach der Plage mit den Weberknechten, von der ich
glaube, dass sie unsere Kindheit beendete, in der sich unsere Tage nur in
Farben, in hell und dunkel geteilt und wir von Zeit nichts gewusst hatten.
Zigi verlängerte seinen Herbst mit Aja bis in den Advent, und bei allem sah
er aus, als versuche er, ihr etwas zu sagen, als warte er auf den rechten
Augenblick, um ihn doch jedes Mal zu verfehlen. Er schaute zu, wie man in
Kirchblüt die Fenster mit Papiersternen und Engeln schmückte, ließ auf

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