Bank, Zsuzsa
Viktoriatorte
gebacken hatte, hatte meine Mutter gesagt, die müsse Évi selbst ausfahren, bis
Évi sie von ihrer Liste strich, und wenn sie doch jemand bestellen wollte,
sagte sie, Viktoriatorte könne sie leider keine backen. Wenn meine Mutter mich
sonntags auf den Rücksitz setzte und mit dem Wagen hinter Erdbeerfeldern
unsere kleine Stadt verließ, damit wir uns die Zeit im Grünen vertrieben, fuhr
sie überallhin, nur nicht an den Neckar.
Mein Vater hatte sich für Bücher
begeistert, nicht für die Wasserhähne oder Gardinenstangen, die unter roten und
gelben Planen durchs Land geschickt wurden. Er hatte nicht vorgehabt, unter
Straßenkarten zu sitzen und sich auszudenken, wann welche Fracht gefahren
werden müsste. Aber als sein Vater starb, hatte er wenige Tage später dort
weitergemacht, wo mein Großvater aufgehört hatte, und sich nie beschwert, etwas
tun zu müssen, das er nicht selbst gewählt hatte. Meine Mutter trieb die
Vorstellung an, der Name meines Vaters würde auch weiter in die Welt getragen,
auf gelben und roten Planen, über ein Netz aus Straßen und Wegen, aus Tunneln
und Brücken, das nur dazu diente, diesen Namen in großen schwarzen, nach oben
strebenden Buchstaben zu zeigen, damit jeder, der unsere Wagen vorbeifahren
sah, ihn lesen und sich einprägen konnte. Sie ließ meinen Vater nicht aus
unserem Alltag verschwinden, nur deshalb hatte sie seinen Platz eingenommen,
deshalb stand sie schon am Fenster neben dem Rauchtisch, bevor sich die Tore zu
den Lagerhallen öffneten und die ersten Fahrer hochwinkten. Es dauerte nicht
lange, bis man erkannte, auch meiner Mutter konnte man Aufträge anvertrauen,
auch eine Frau konnte Aufgaben erfassen und ohne Fehler erledigen, und es war
Verlass auf sie, vielleicht sogar mehr, als auf meinen Vater jemals Verlass
gewesen war. Als ich in den Kindergarten ging, kannte jeder dort meinen Namen,
und als ich eingeschult wurde, hatte sich die Zahl der Fahrer und Wagen
verdoppelt. Die Zeitungen fingen an, über meine Mutter zu schreiben, weil sie
auf ihre Art zu arbeiten aufmerksam geworden waren. Wurde sie nach ihrem Leben
als Witwe gefragt, sagte sie, darüber werde sie nicht reden, weil es nichts mit
ihrer Arbeit zu tun habe, obwohl doch jeder wusste, nichts hatte mehr damit zu
tun als mein Vater und ihr Leben ohne ihn.
Es dauerte Jahre, bis meine Mutter
bereit war, mit mir zum Friedhof hinauszugehen, weil sie glaubte, nur alte
Leute solle er beherbergen, aber niemanden wie meinen Vater, hinter der Brücke
über den Klatschmohn, der Mauer aus Sandstein und dem schwarzen Tor mit den
Eichblättern, das auch nachts geöffnet blieb. In den zähen Morgenstunden, wenn
sie nicht aufhören konnte, nachzudenken, wie es weitergehen würde mit uns, in
den langen Minuten am Abend, bis sie in den Schlaf fand, an allen stillen
Sonntagen, die wir ohne meinen Vater verbrachten, hatte sich in ihre Trauer
etwas wie Unmut gemischt, als könne sie meinem Vater nicht verzeihen, sie so
früh mit mir alleingelassen zu haben. Vielleicht gelang es ihr deshalb, nie
vor seinem Grabstein zu weinen, jedenfalls nicht vor mir, wenn ich über die
schmalen Trampelpfade zwischen den Steinen lief, in weißen Schuhen und
Strümpfen, auf die sich bei jedem Schritt, bei jedem Sprung mehr Staub legte.
Aber seit sie angefangen hatte,
zum Friedhof zu gehen, ging sie, sooft sie konnte, kippte das Wasser aus den
Vasen und warf die welken Blumen auf einen Haufen, nahm die moosgrüne Kanne
hinter dem Wasserbecken und begoss die Stauden und Büsche, wischte mit einem
Tuch über den Stein, an dem Schmutz und Regen genagt hatten, schnitt den Efeu
zurück und schabte mit dem Stiel ihres spitzen Kamms das Moos weg, wenn es an
den Seiten hochgeklettert war und sich auf die Buchstaben gesetzt hatte. Es
war der einzige Ort, an dem sie glaubte, meinen Vater noch treffen zu können,
der einzige Platz, an dem sie ihre Fragen stellen und auf seine Antworten
warten konnte. Sie saß auf einem Klappstuhl mit gestreifter Lehne, den sie aus
dem Kofferraum genommen und ans Grab gestellt hatte, in den Händen eine
Rechnung, ein Auftrag oder Brief, redete und nickte, als habe sie ihre Antwort,
als habe sie jetzt ihre Erklärung, nach der sie lange vergeblich gesucht hatte
und auf die sie allein nicht gekommen war. Dann faltete sie das Papier und
steckte es ein, klappte den Stuhl zusammen und trug ihn über den Kiesweg
zurück, auf ihren flachen Absätzen, in ihrem dunklen Kostüm, mit ihrer
Perlenkette, an die sie oft
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