Bank, Zsuzsa
ihre Finger legte, um zu tasten, ob sie noch da
war, und bis sie zum Tor kam, hatte sie sich noch zweimal, dreimal umgedreht,
als glaube sie, meinem Vater könne noch etwas eingefallen sein, und er wolle es
ihr nachrufen. Die Zeit war ihr gleich geworden, wenn sie etwas zu klären
hatte, fuhr sie auch nachts hinaus, und wenn ich aufwachte, um in ihr leeres
Bett zu schlüpfen, lief im Wohnzimmer das Radio, als könne sie mich täuschen,
als könne ich dann glauben, sie sitze auf unserem roten Sofa und nicht vor
einem schwarzgrauen Stein, zu dem sie redete und dessen Schriftzug sie im
Mondlicht mit dem Stiel ihres spitzen Kamms nachzeichnete, den Namen meines
Vaters, den sie auf roten und gelben Planen durchs Land und über seine Grenzen
schickte, Hannes Bartfink, geboren im April 1930, gestorben im Mai 1960.
Anders als Karls Mutter Ellen
hatte sich meine Mutter nicht abgewendet vom Leben, sie war, so schnell sie
ihre Schritte setzen konnte, ohne sich aufhalten zu lassen, in seine Mitte
gegangen und hatte sich in ihre Arbeit geworfen. Ihre Lippen waren schmaler
geworden, zwei Fältchen hatten sich in ihre Mundwinkel gesetzt, und ihre Augen
sahen aus, als seien sie dichter aneinandergerückt, als sei ihre grüne Farbe
über allem dunkler geworden. Sie war empfindlich, sobald jemand aufs Herz zu
sprechen kam, und hörte schnell weg, wenn jemand sagte, er habe Herzklopfen
oder Herzrasen. Ellen und meine Mutter waren in ein Haus zurückgekehrt, in dem
plötzlich jemand fehlte, in das eine Lücke gerissen worden war, die sie mit
nichts zu füllen wussten, und dessen Leere nur größer wurde mit jedem Tag, an
dem sie versuchten, sie zu vertreiben. Beide wussten um letzte Minuten und
Stunden, um die Tage davor, die sich im Rückblick mit Zeichen und Hinweisen
füllten, die sie damals nicht hatten deuten können. Jede holte sie auf ihre Art
ins Gedächtnis, um die weißen Flecken nicht zuzulassen, die sich in ihren
Köpfen ausgebreitet hatten und sich von den Rändern zur Mitte fraßen, meine
Mutter auf einem Klappstuhl mit gestreifter Lehne, wenige Schritte von einer
Mauer aus Sandstein entfernt, und Ellen vor ihrem Fenster mit Blick auf das
Schilf, das im Winter seine grüne Farbe verlor und gelb wurde. Sie sagten, sie
beneideten Évi, sie könne sich auf die letzten Tage mit Zigi jedes Mal
einstellen, auch wenn es Évi immer seltener gelingen wollte, auf dem Rückweg unter
Kastanien ein Rad zu schlagen. Évi habe Zeit, den Abschied vorher zu denken
und sich an die Vorstellung zu gewöhnen, Zigi würde verschwinden und sie
wieder allein sein, in ihrer winzigen Küche, in deren schiefen Schränken Zigi
am Abend noch Geldscheine in die Tassen gesteckt haben würde. Wenn er seinen
dunklen Koffer zur Haltestelle trage, könne sie sich an seinem Arm festhalten,
noch einmal den Stoff seiner dunklen Jacke fühlen, ihre Hände noch einmal in
seine legen, bevor er auf den Bus springe, und wenn er sie ein letztes Mal
anschaue, könne sie sich die schwarzbraunen Farbsplitter seiner Augen
einprägen, um sie in den Monaten, in denen Zigi nicht bei ihr war, aus ihrer
Erinnerung zusammenzusetzen.
Karl, Aja und ich, wir hatten
keine Väter, jedenfalls nicht so, wie andere Kinder Väter hatten. Wir hatten
unsere Mütter, mit ihren stillen Geheimnissen, die sie hüteten wie Schätze. Évi
hätte nie zugegeben, dass sie das ganze Jahr über auf Zigi wartete und ihr
dabei jeder Halm Unkraut half, den sie in ihrem Garten rupfen konnte, und meine
Mutter versuchte zu übergehen, dass sie sich noch immer dabei erwischte, an der
Treppe zu stehen, um eine Flasche Wein für meinen Vater aus dem Keller zu
holen, weil sie glaubte, er würde am Abend nach Hause kommen. Als sie mich zum
ersten Mal zum Friedhof mitgenommen hatte, hatte sie am Tor gefragt, ob ich
ihr etwas versprechen könne, ich hatte genickt und gesagt, ja, ich könne, und
dann hatte sie gefragt, ob ich ihr versprechen könne, nicht zu weinen, und ich
hatte wieder genickt und gesagt, ja, ich könne es ihr versprechen, ich könne
ihr versprechen, nicht zu weinen. Nur Ellen suchte nichts zu verbergen, sie saß
unter Évis schiefem Küchenfenster und vertrieb vor unseren Augen die
Dunkelheit, verscheuchte sie mit ihren Händen, und wenn wir wollten, durften
wir uns setzen und ihr zuschauen dabei. Wir alle kämpften gegen eine Leere, und
obwohl wir sie mit nichts füllen konnten, liefen die Fäden unseres Lebens dort
zusammen. Karl vermisste seinen Bruder, Aja vermisste Zigi und ich
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