Bankgeheimnisse
nicht lange genießen können.
Dann sah sie es. Ihr Bild. Es stand tief im Schatten des Reuters, deshalb hatte sie es nicht sofort wahrgenommen. Er hatte davon gesprochen, daß er es aufgestellt hatte.
Plötzlich erinnerte sie sich, wie er ganz am Anfang gewesen war. Sein Grübchenlachen, die leuchtenden Augen. Warme, zärtliche Stunden vor dem Kamin. Paris im Frühling. Strandspaziergänge im rötlichen Licht eines Sonnenuntergangs. Er war ihr Held gewesen, der auf einem weißen Pferd in ihr Leben gesprengt kam. Er hatte ihr die gläsernen Pantoffeln übergestreift und sie auf sein Pferd gehoben, sie mitgenommen auf einen kurzen, wilden Ritt durch sein Königreich. Sie schluckte und spürte den Schmerz wie ein rotierendes Messer in ihrer Kehle.
Sie legte ihre Tasche und das Notebook auf den Schreibtisch und schaltete den Reuters ein. Im grünlichen Licht des Bildschirms begann sie ihre Suche. Der Schreibtisch war nicht verschlossen, eine von Leos vielen Leichtsinnigkeiten. Die obere Schublade war leer bis auf einige Büroutensilien wie Heftklammern, Radiergummis, Bleistifte und Kugelschreiber. In einem der Seitenschübe lag ein dünner Stapel Chartausdrucke, in einem anderen ein halbes Dutzend Managerzeitschriften. Die unterste Schublade schien leer zu sein, aber als Johanna sie bis zum Anschlag aufzog, wurde sie fündig. Ganz nach hinten geschoben und flüchtiger Betrachtung daher entzogen, lag ein brauner DIN-A4-Umschlag. Johanna nahm ihn heraus und öffnete ihn. Ein weiterer Stapel, diesmal Fotokopien. Eine rasches Durchblättern zeigte, daß es sich um brisante Unterlagen handelte. Genaue Angaben über Schwarzgeldkonten von Kunden und unsaubere Wertpapiertransaktionen von Kollegen, Daten, die jedes Erpresserherz höher schlagen ließen. Leo hatte ihr gegenüber oft damit geprahlt, unkündbar zu sein, weil er die ganze Bank mitsamt ihren steinreichen Kunden mit einem Riesenknall auffliegen lassen könnte, wenn er es darauf anlegte. Johanna wußte, daß andere in der Bank es genauso machten. Sie sammelten in einer ihrer Schubladen Material, horteten und ergänzten es, allerdings ohne es jemals zu verwenden oder auch nur ernsthaft dergleichen zu beabsichtigen.
Von Amery war nichts dabei. Johanna war absolut sicher, daß Leo eigenhändig von dem Vorgang eine inoffizielle Kopie für seine Zwecke angefertigt hatte, genauso, wie er es bei jeder anderen Top-secret-Sache auch getan hätte. Aber auch hier hatte Wiking nichts übersehen. Die Enttäuschung setzte mit solcher Wucht ein, daß Johanna beinahe aufgeschrien hätte. Sie atmete tief durch, dann schob sie die Papiere in den Umschlag zurück und verstaute ihn wieder in der Schublade. Sie schaltete den Reuters aus und stand schwerfällig auf. Jetzt würde sie in den Aufzug steigen und in die vierzehnte Etage fahren. Sie würde in das Büro des Vorstandsvorsitzenden gehen und seinen Schreibtisch durchsuchen. Wenn er abgeschlossen war, würde sie das Stemmeisen aus ihrer Handtasche benutzen, und wenn sie damit nicht weiterkam, die Pistole. Johanna tastete langsam ihre Kehle ab. Sie konnte kaum atmen. Schwerfällig stand sie auf, nahm ihre Tasche und das Notebook und wandte sich zur Tür. Mit einem heiseren Aufschrei ließ sie das Notebook fallen und trat einen Schritt zurück. Ihr Steißbein stieß hart gegen die Ecke des Schreibtischs.
In der offenen Tür stand Helmberg. Seine Silhouette verschmolz mit den Schatten und war vor der Dunkelheit des Gangs nur zu ahnen. Die runden Brillengläser spiegelten das mattblaue Licht der Leuchtreklame und verliehen ihm das Aussehen einer dämonischen Eule. »Sie sind gekommen«, sagte er. »Sie sind wirklich gekommen.«
Johanna stieß zischend den Atem aus. Sie konnte nichts sagen. »Ich habe ein Geräusch gehört.« Seine Stimme war sanft. »Mein Büro liegt unter dem ihrer Sekretärin. Ich dachte gleich, daß Sie es sind. Ich wußte, daß Sie es versuchen würden. Ich traute es Ihnen zu. Ich weiß genau, wieviel Schneid Sie haben. Sie sind so klein und zart. Aber Sie sind zäh. Sie haben mehr Mut als alle anderen Menschen, die ich kenne.«
Johanna starrte ihn schweigend an. Ein kleiner, unscheinbarer Mann, dessen Brillengläser bläulich funkelten. Er schien zu lächeln, aber das konnte in dem schwachen Licht, das von draußen hereinfiel, auch eine Täuschung sein. Sie schob die Hand in ihre Tasche und stieß mit den Fingern gegen den Schalldämpfer. Ihr Daumen suchte nach dem Sicherungshebel.
»Sie haben natürlich
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