Bankgeheimnisse
absichtlich. Er stellte sich dabei als Ernst vor. Er brachte mir zwei Zeitungsausschnitte mit. Der eine berichtete von dem Überfall auf Sie, in Ihrem Penthouse, und vom gewaltsamen Tod Ihres Bruders. In dem anderen Ausschnitt stand die Meldung vom Tod Ihres Mannes. Er legte mir die beiden Ausschnitte kommentarlos auf den Schreibtisch. Dann hatte er noch etwas für mich. Er hatte es in einer Plastiktüte bei sich. Es war die Lieblingspuppe meiner Enkelin. Eine hübsche Schlafpuppe mit langen blonden Haaren und Klimperaugen. Ich hatte sie ihr zu Weihnachten geschenkt. Aber jetzt war sie nicht mehr hübsch. Der Kopf war abgerissen. Er warf mir beides auf den Schreibtisch, die Puppe und den Kopf. Er mußte nichts mehr sagen, ich verstand auch so.«
»Mein Gott«, flüsterte Johanna.
»Ich glaube, sie würden mich bedenkenlos eliminieren. Aber es hat in der letzten Zeit in der Bank zu viele Todesfälle gegeben. Es wird schon genug über den angeblichen Selbstmord Klingenbergs gemunkelt. Und dann Ihr Bruder und Ihr Mann... Wenn ich auch noch ums Leben käme, würde selbst dem Dümmsten aufgehen, daß irgend etwas faul ist. Und daß es dabei nur um die geplante Stiftung gehen kann. Also haben sie mich auf andere, ebenso wirkungsvolle Weise zum Schweigen gebracht. Sie wissen genau, daß ich nicht reden werde.« Er stützte beide Hände auf die Fensterbank. Seine Schultern zitterten leicht. »Ich habe seitdem fast jede Nacht durchgearbeitet. Ich kann nicht mehr schlafen.«
»Warum wollen Sie mir die Akte geben?«
»Ich kann nicht damit zur Polizei gehen, aber vielleicht könnte... wenn Sie...« Er stockte.
»Schon gut. Wo ist sie? Im Safe?«
»In meinem Aktenkoffer, unten in meinem Büro. Ich habe sie immer bei mir. Fühlen Sie sich nicht gut? Sie sind heiser. Was ist mit Ihnen los?«
»Halsweh. Eine Grippe oder so, keine Ahnung. Wie machen wir es? Sind unten in der Rechtsabteilung außer Ihnen noch Leute?« Er schüttelte den Kopf.
»Dann gehe ich mit Ihnen runter, und Sie geben es mir da.«
»Einverstanden.« Er stieß sich von der Fensterbank ab und kam zu Johanna. In verlegener Haltung blieb er vor ihr stehen, die Hände verschränkt. »Wissen Sie, ich war auf der Beerdigung Ihres Mannes. Es waren viele Trauergäste da, die halbe Bank und unzählige Bekannte. Seine Mutter. Sein Großvater.«
Johanna kannte beide von drei, vier flüchtigen Besuchen, die nicht ausgereicht hatten, mehr als höfliche Konversation auf kommen zu lassen. Sie nickte abwartend. Die Bewegung verstärkte das Stechen in ihrem Hals. »Und?«
»Ich... ich war auch da, als Ihr Bruder beerdigt wurde. Ich wußte ja, daß Sie nicht kommen konnten, weil es zu gefährlich für Sie war. Es ist auch sonst kaum jemand dort gewesen. Zwei, drei Leute vielleicht. Es gab wenig Blumen. Ich habe... ich habe einen Kranz besorgt. Und ich habe einen Grabstein in Auftrag gegeben und bezahlt. Er würde... er würde doch sonst keinen bekommen, und ich dachte...« Er brach hilflos ab und sah zu Boden. Als er einen Schritt zurücktrat, stieß er mit dem Fuß gegen das Notebook. Er hob es auf und hielt es ihr linkisch entgegen. Seine Gestalt hob sich als dunklerer Umriß vor dem nächtlichen Himmel hinter der Glasfront ab.
Sie nahm es und merkte dabei, daß sie immer noch ihre Hand in der Tasche gehabt hatte, an der Pistole.
15. Kapitel
Helmberg begleitete Johanna auf dem Weg zu ihrem Büro, wo sie das Notebook auf ihren Schreibtisch zurücklegte und alle Spuren ihres nächtlichen Besuchs beseitigte. Sie besprachen nur das Nötigste und bemühten sich um Eile, als sie die Treppe hinunter in die Rechtsabteilung gingen, wo Helmberg die Akte aus seinem Büro holte. Er gab ihr den Umschlag, und Johanna wog ihn sekundenlang in der Hand, bevor sie ihn in den Tiefen ihrer voluminösen Handtasche verstaute.
»Danke«, sagte sie. Es kam als unartikulierter Laut heraus. »Danke«, krächzte sie erneut, diesmal deutlicher. Er nickte und streckte ihr seine Hand hin. Johanna ergriff sie und hielt sie fest. Sie spürte, wie seine Finger zitterten. Er war ein zartgebauter Mann, kaum größer als sie. »Danke«, sagte sie noch einmal.
Er nickte wieder, und plötzlich zitterten seine Finger nicht mehr. Seine Stimme klang fest. »Gott schütze Sie, Johanna.«
Im Aufzug spürte sie dann, wie ihre Wahrnehmung sich trübte. Während der Fahrt nach unten dachte sie an ein Gespräch, das sie einmal mit Klingenberg geführt hatte. Sie hatte kurz vorher Prokura bekommen, und sie
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