Bankgeheimnisse
Trips und das Gift bei mir zu verstecken. Es kann also nur eins bedeuten.«
Die Ratte war gänzlich im weit geöffneten Maul der Schlange verschwunden. Die unförmige Verdickung hinter den knochenlosen Kiefern zeigte den Weg des unzerteilten Mahls durch den Verdauungskanal an. Mit tonloser Stimme sagte Johanna: »Harald Klingenberg wurde ermordet.«
Ihre Glieder waren taub. Sie hatte kaum Gefühl in den Fingern, als sie ihre Handtasche öffnete. Sie war einer Ohnmacht nah. Ihr Bruder klopfte mit dem Finger gegen die Scheibe des Terrariums. Die Schlange spürte die Bewegung und hob träge den Kopf. Micky drehte sich zu Johanna um. »Der, der’s war, hat Angst, es könnte rauskommen, daß es in Wahrheit Mord war. Mit dem Zeug in meiner Wohnung hat er dafür gesorgt, daß die Bullen nicht lange nach einem Mörder suchen müssen. Ein Motiv hatte ich auch. Jeder in der Stadt weiß, daß ich ihn gehaßt habe.« Sein Mund verzog sich bitter. »Er wollte mir Natascha wegnehmen. Er hat sie mir weggenommen. Sie hat nach ihm gerufen, zuletzt.«
Sie hörte nicht zu. Ihre Hände zitterten, als sie ihm den Abschiedsbrief zeigte. Er las ihn und nickte. »Kein Problem. Sieht für jeden nach Selbstmord aus. Selbst geschrieben. Und er hat’s sich bestimmt selbst ausgedacht. Hatte ja ein Faible für solche Sachen. In der Art schreibt jemand, der auf einem Höllentrip ist. Er war auf einem. Ist auf einen geschickt worden. Zwei, drei von diesen kleinen Abziehbildchen in seinem Wasserglas. Dann die richtige Anregung, und er hätte alles getan. Er wäre auf Kommando sogar zum Adler geworden und aus dem Fenster geflogen. Jemand hat ihm die richtige Anregung gegeben. Er hat ein nettes kleines Abschiedsgedicht geschrieben und eine nette kleine Kapsel geschluckt.« Seine Stimme wurde sarkastisch. »Ist das jetzt Mord oder Anstiftung zum Selbstmord? Aber vielleicht haben sie ihm die Kapsel ja auch in den Mund gesteckt.«
Johanna stopfte das Fax in ihre Tasche. »Ich muß hier raus. Sofort.«
Sie stolperte die Treppe hinab. Er ging ihr nach, und zusammen verließen sie das Gebäude. Johanna sog in tiefen Zügen die klare Herbstluft ein. Hinter dem Exotarium lagen die Becken der Robben und Pinguine. Ein Wärter in hohen Gummistiefeln stand am Rand und holte Fische aus einem Eimer. Er warf sie den hoch aufgerichteten Robben zu, die sie aus der Luft fingen. Die silbrigen Körper beschrieben glitzernde Parabeln durch die Luft. Einige der Fische landeten klatschend auf den Felsen.
»Warum bist du zur Beerdigung gekommen?«
»Ich wollte mich davon überzeugen, daß der alte Halunke tatsächlich tot ist.«
»Warum, Micky?«
Er setzte sich auf den Steinwall, der das Pinguinbecken umschloß. Die schlanken Leiber der weißbäuchigen Tiere schossen pfeilgleich von einem Ende des Bassins zum anderen. Micky schöpfte Wasser mit der hohlen Hand, ließ es durch die Finger rinnen. »Klingenberg war nicht so schlecht, weißt du. Der Knast war Scheiße. Aber mir ist in der Zeit einiges klargeworden. Nicht nur über mich. Auch über andere Dich. Natascha. Und ihn. Natascha war mein Leben. Sie war...« Er machte eine ausholende Armbewegung. »Sie war alles, verstehst du. Und sie war es irgendwie auch durch ihn. Er war ein Teil von ihr. Er hat Natascha geliebt, vielleicht noch mehr als ich. Ich habe es irgendwann begriffen, und ich habe meinen Frieden mit ihm gemacht. Er liegt jetzt neben ihr.«
»Was soll jetzt werden? Was wollen wir tun?«
»Was du tust, ist dein Bier. Was mich betrifft, ich bin praktisch schon weg.«
»Wo willst du hin?«
»Nach Holland. So schnell wie möglich. Ich kenne da ein paar Leute.«
»Du hast doch Bewährungsauflagen. Meldepflicht. Fester Wohnsitz.«
»Das ist es ja. Fester Wohnsitz. Eine Wohnung, in der jemand was verstecken kann. Eine Arbeit irgendwo, mit einem Spind, in dem auch jemand was verstecken kann. Und ein karrieregeiler Staatsanwalt, der sich bei der Bearbeitung eines Renommierfalles Lorbeeren verdienen will. Er springt auf jeden scheißanonymen Hinweis und macht einen Durchsuchungsbefehl daraus. Ich könnte ihm sonstwas erzählen. Er würde mir nicht glauben. Ich habe ihn gesehen. Er ist fanatisch. Er glaubt nur das, was er glauben will.« Sie versuchte, mit ihm darüber zu reden, argumentierte. Es war sinnlos. Er schüttelte den Kopf und erhob sich von dem Steinwall. Bevor er ging, sagte er: »Vielleicht war es jemand aus der Bank. Jemand, den du jeden Tag siehst.«
Sie wollte ihn nicht gehenlassen. Sie
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