Bankgeheimnisse
er genoß es offenbar, den advocatus diaboli zu spielen.
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Irgendwie hätten sie es ihm schon angehängt. Sie hätten ihm zum Beispiel unterstellen können, daß er die ID-Karte eines Angestellten benutzt hat. Vielleicht meine. Oder irgendeine, die er gestohlen und vielleicht gleich danach unbemerkt wieder zurückgetan hat.«
»Raffiniert ausgedacht. Wäre das denn möglich?«
»Theoretisch schon. Wer eine Karte hat, kann jederzeit in die Bank und auch wieder raus, vorausgesetzt, er kennt die dazugehörige Codenummer. Die Sicherheitsleute können unmöglich alle Mitarbeiter kennen.«
Er grinste vielsagend. Sie starrte ihn wütend an. Ihr Tonfall war frostig. »Na schön. Es kann also jeder gewesen sein. Du kommst dir wohl sehr schlau vor, wie?«
Er stellte sein Glas auf den Beistelltisch neben der Couch. »Nimm’s nicht persönlich. Du wärst bestimmt selbst gleich darauf gekommen.«
Sie streckte die Beine aus und massierte ihre Waden. Ihre Strumpfhose knisterte. Er sah mit Interesse zu.
Nachdenklich hob sie den Kopf. »Es wäre allerdings zu überprüfen. Auch die ID-Nummern werden gespeichert, per Computer. Wenn ich meine Karte in den Schrankenautomaten in der Tiefgarage stecke: Es wird registriert. Oder in den Freigabeschlitz neben dem Aufzug oder an der Eingangstür: Es wird registriert. Wenn am Mordabend eine unautorisierte Karte benutzt wurde, läßt sich das feststellen.«
»Wie willst du das machen? Willst du das paar Dutzend Leute abklappern, deren ID-Nummern an dem Abend registriert waren und sie fragen, ob sie auch tatsächlich dort waren? Oder ob vielleicht jemand gerade an dem Tag ihre Karte gemopst hatte? Du bist der Typ, um das fertigzubringen. Auf eigene Faust, weil die Polizei dir Mickys Geschichte sowieso nicht abkaufen würde. Aber du vergißt dabei eins. Etwas enorm Wichtiges, principessa .« Sie seufzte. »Ich weiß. Es könnte zwar jeder gewesen sein. Aber die Wahrscheinlichkeit, daß es eben doch jemand aus der Bank war, ist viel größer. Ich würde früher oder später direkt an den oder die Mörder geraten. Mist. Verdammter Mist.«
»Hast du schon eine Idee, was an dem Selbstmord faul sein könnte?«
Sie schüttelte den Kopf und stemmte sich hoch. »Sekunde, ich bin gleich wieder da.« Sie ging in die Diele, wo ihre Handtasche über der Lehne des Louis-quinze-Stuhls hing. Sie nahm das Fax heraus und glättete es zwischen den Händen, bevor sie damit zurück ins Wohnzimmer ging und es Fabio in die Hand drückte.
»Sein Abschiedsbrief. Vielleicht ist das der Schlüssel. Ich kenne ihn in- und auswendig. Aber mir fällt nichts dazu ein. Nichts jedenfalls, was aus dem Selbstmord einen Mord machen könnte.« Er las es. Achselzuckend reichte er es ihr zurück. »Ich lese hauptsächlich Kochbücher und Krimis. Keine Gedichtbände oder Theaterstücke.«
Theaterstücke. Das letzte Stück. Sie starrte das bereits ziemlich mitgenommene Papier an, mit dem unvermittelt einsetzenden Gefühl, daß sie der Lösung näher käme, wenn sie darüber nachdächte. Nur ein wenig nachdächte.
Er stand ebenfalls auf, nahm ihr das Blatt aus der Hand und legte es auf den Kaminsims. »Weißt du, ich frage mich eins. Warum besprichst du dieses spezielle Problem mit mir? Warum nicht mit jemand anderem? Ich denke da an deinen Mann. In letzter Zeit scheint ihr euch wieder nähergekommen zu sein. Im Grunde wäre er der richtige Ansprechpartner für diese Sache.«
Sie blickte ihn stumm an, ohne nach einer Erklärung zu suchen. Fabio schien im Grunde auch keine zu erwarten. Er bewegte sich katzenhaft schnell. Plötzlich stand er vor ihr, dunkel und groß, sehr viel größer als sie selbst. Er faßte sie bei den Schultern und zog sie zu sich heran. »Johanna.« Seine Stimme war sanft. »Ich würde dich gern küssen.«
Sie sah zu ihm hoch. Ein mutwilliges Funkeln glomm in seinen goldenen Augen. Ein schwaches, sinnliches Lächeln umspielte seine Lippen. Sie spürte seine Handflächen durch den dünnen Stoff ihres Kleides, heiß, als wäre sie nackt. Ihr Atem ging schneller. Sie legte ihre Hände auf seine Brust, um ihn wegzustoßen, aber in dem Augenblick, als sie ihn berührte, hatte sie ihre Absicht vergessen.
»Nur ein Kuß, Johanna. Alles andere entscheidest du danach.« Sie fühlte die Wärme seiner Haut und hob den Kopf. Er zeichnete mit dem Zeigefinger den Schwung ihrer Oberlippe nach. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber er kam ihr zuvor. Er neigte den
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