Bankgeheimnisse
tupfte sich nach jedem Bissen mit der Serviette den Mund ab. Strass kaute mit vollen Backen. Er war als erster fertig. Beim Schneckengang entschuldigte Johanna sich. Stühle scharrten, während sie aufstand. Sie unterdrückte ein Lächeln, als alle fünf Männer, halb sitzend, halb stehend, verharrten, bis sie den Tisch verlassen hatte. Sie schaffte es rechtzeitig. In einer der Toilettenkabinen kniete sie sich vor die Schüssel und spuckte die Vorspeise wieder aus. Während sie anschließend, über das Waschbecken gebeugt, den sauren Geschmack mit Leitungswasser wegspülte, dachte sie mit aufsteigendem Zynismus darüber nach, was sie alles auf sich nahm, um ihren Job gut zu machen. Um an das Geld heranzukommen, das für sie und für die Bank dabei zu holen war.
Sie schluckte zwei Tabletten und frischte ihr Make-up auf. Ihrem Gesicht im Spiegel war nichts anzumerken. Die künstliche Röte auf ihren Wangen ließ sie gesünder wirken, als sie sich fühlte.
Vor der Damentoilette stand Leo und rauchte. »Ich kann mir denken, was du hier gemacht hast.«
»Ja, was macht frau wohl auf der Toilette?« Sie blieb neben ihm stehen. Sie hatte es nicht eilig, zurück zum Tisch zu gehen.
»Ich wette, du hast gekotzt. Dabei ist das Essen superb. Es geht dir wirklich nicht gut, oder?«
»Du weißt, wie ich solches Essen hasse. Ich würde ein Monatsgehalt für ein anständiges Abendessen im Forchetta geben.«
Seine Augen wurden schmal, doch seine Stimme klang beiläufig. »Du hast deine Sache gut gemacht, Schätzchen. Man hat dir nicht allzuviel angemerkt.«
»Ich müßte einen Tapferkeitsorden kriegen dafür.«
»Du kriegst ein Vermögen, bar auf ein Schweizer Konto, das ist fast so gut wie ein Orden. Was hältst du von dem alten Burschen?«
»Amery? Scheint mir in Ordnung zu sein, bis auf seine Essensvorlieben. Am besten hat mir gefallen, wie er Wiking aus der Reserve locken wollte. Er hat Humor, ist intelligent und ziemlich gebildet. In der Beziehung unterscheidet er sich nicht von meinen übrigen Kunden. Er ist vielleicht etwas extrovertierter. Ach ja, und das wahnsinnig viele Geld. Wann werden wir zum Geschäft kommen?«
Er schnippte die Asche von seiner Zigarette. »Heute abend vielleicht, in der Bar. Wahrscheinlich aber erst morgen. Wenn das Wetter gut ist, will er im Bois de Boulogne spazierengehen und dabei reden. Strass hat gesagt, er muß sich dabei bewegen. Wenn es um das Geschäftliche geht, meine ich.«
»Hoffentlich regnet es. Da, jetzt fällt es mir ein. Mantel und Degen. Freibeuter und Piraten. Errol Flynn.«
»Flynn?«
»Ja, der Hollywoodstar. Mir ist der Name vorhin nicht eingefallen. Amery erinnert mich an ihn. Derselbe Typ, nur doppelt so alt wie Errol Flynn zu seinen besten Zeiten. Ich habe fast den Eindruck, er kultiviert das irgendwie. Dieser komische altmodische Anzug. Findest du nicht auch?«
Er zuckte die Achseln. »Jeder sieht aus wie irgendwer anderer. Wir sollten wieder zurückgehen, wahrscheinlich sind sie schon beim Fisch.«
»Mir egal, wo sie sind. Hauptsache, die Schnecken sind abgeräumt.«
Er lachte.
Amery erwies sich an diesem Abend als amüsanter Plauderer, sowohl während der übrigen Gänge des Menüs als auch später in der Bar, wo sie einen Drink zum Ausklang dieses ersten Treffens einnahmen. Die Unterhaltung wurde überwiegend von ihm, Wiking und Leo bestritten. Johanna meldete sich nur zu Wort, wenn sie gefragt wurde. Sie hielt sich bewußt zurück, beobachtete Amery, rundete das Bild ab, das sie sich bereits von ihm gemacht hatte. Ein Großteil ihrer Aufgabe bestand darin, in Erfahrung zu bringen, was er für ein Mensch war, sich auf diesen Menschen einzustellen. Der Mensch Amery wollte eine Stiftung gründen, nicht der Geschäftsmann.
Er zog sie alle in seinen Bann, als er von Tigerjagden im Süden Indiens erzählte und Bilder von tiefgrünen Dschungelpfaden und goldhäutigen Mahouts auf schwankenden Elefantenrücken lebendig werden ließ. Er erzählte lebhaft und gestenreich. Johanna nippte sparsam an ihrem Longdrink und bemühte sich um Haltung. Der Apéritif, der Wein während des Diners, der Abschlußlikör und jetzt der Drink — alles ohne ihr Zutun serviert — taten ihre Wirkung. Sie war beschwipst und merkte es. Sie unterdrückte ein Kichern, als Amery an der Stelle anlangte, wo der Tiger, eine zwei Zentner schwere Bestie, aus dem Dschungel brach und zum Sprung ansetzte. Für einen Moment erwachte ihre Aufmerksamkeit, als er interessantere Details aus seiner
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